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Texoprint veröffentlicht Debütalbum “Modern Living”

Vom Schulprojekt zum Lärm-Manifest: Die niederländische Noise-Rock-Band Texoprint bringen mit ihrem Debütalbum “Modern Living”, das am 26. September erscheint, eine kraftvolle Platte mit vollem Sound und tiefen Lyrics raus. Auf insgesamt zwölf Songs präsentiert das Trio seine ungebändigte Energie.

Texoprint ist keine Band, die man nebenbei laufen lässt. Ihre Musik will volle Aufmerksamkeit und die nimmt sie sich notfalls auch mit Gewalt. Sie ist roh, laut, emotional und bis ins Mark ehrlich. Hier geht es nicht darum, dich aufzumuntern. Hier geht es darum, dass man fühlt und das machen sie gemeinsam. Immer gemeinsam.

Gemeinsam ist also auch das erste Album “Modern Living” entstanden. Ein Meilenstein mit mehr Fokus, mehr Feinschliff, aber kein bisschen weniger Kante. Der Albumtitel stammt von einem 70er-Jahre-Designbuch von Redwins Couchtisch und ist eine schelmische Parodie auf die Welle abstrakter Post-Punk-Bandnamen. Er ist ironisch, ästhetisch und bleibt hängen.

Das Trio – Jasper Werij, David Pop und Redwin Rolleman – fand sich an der Herman Brood Academy in Utrecht. Drei Typen, verbunden durch die Liebe zum rauen Sound und den Drang, etwas Echtes zu schaffen. Auf dem Campus wurden sie schnell als „Noise Boys“ bekannt: unzertrennlich, laut, ständig am nächsten klanglichen Experiment tüftelnd. Aus einem Klassenprojekt wurde eine Band mit klarem Ziel, aber ohne festgelegtes Genre – nur eine kompromisslose Vision.

Der erste gemeinsame Gig war an Silvester 2019. Sie vergaßen ihre Songs, tranken zu viel und improvisierten eine halbe Stunde pure Sound-Anarchie. Das Publikum? Lief weg – bis auf zwei Hardcore-Noise-Fans. Ein Desaster? Vielleicht. Aber auch der Anfang von etwas Besonderem.

Früher nannten sie sich Kalaallit Nunaat – der indigene Name für Grönland. Anfangs cool, später problematisch. „Three white Dutch guys can’t just take an indigenous name“, sagen sie heute. Der neue Name Texoprint ist inspiriert von einer Fabrik, in der Redwins Vater arbeitete und fühlte sich sofort richtig an: näher an der Heimat, DIY bis ins letzte Detail. Heute klingt Texoprint nach einem wütenden Nebel aus Reverb, Noise, verzerrten Gitarren und Vocals, die vor Emotionen zerreißen. Durchbrochen von kurzen Momenten voller Melodie und Melancholie. Alles entsteht dabei zusammen im Proberaum, so dass Intuition und Chaos direkt in diese kraftvollen Songs verwandelt werden.

Auch textlich graben sie tief. Die Songs handeln von Angst, ADHS, existenzieller Leere und dieser seltsamen Nostalgie, wenn man träumt, wieder in der Schule zu sein. Redwin und Jasper schreiben mehr aus dem Bauch, David eher aus Obsession für schillernde Persönlichkeiten. Diese Mischung macht den Texoprint-Sound unverwechselbar.

Mit der aktuellsten Single “Street Theatre” (VÖ: 22.08.2025) zeigen Texoprint, wie sich das Leben anfühlt, wenn alles um einen herum wie ein endloses Schauspiel wirkt und man selbst der Außenseiter ist, den alle beobachten.Der Track verbindet Post-Punk-Schärfe mit Noise-Rock-Rohheit und verdichtet gesellschaftliche Beklemmung zu treibenden Rhythmen und zersplitterten Gitarren. Textzeilen wie „10.000 people in disguise“ oder „Good luck being stuck in the beehive“ entlarven eine Welt, in der Anpassung zur Tarnung wird und Individualität im Kollektiv zu verschwinden droht.

“Street Theatre” ist eine paranoide Hymne auf den Nonkonformismus, auf die Angst vor Kontrolle und den Mut, sich dem System zu entziehen. Aufgenommen in den Niederlanden, schickt Texoprint hier jüngst eine bittere Botschaft durch die Verstärker: Das Theater der Straße spielt immer, aber nicht jeder spielt mit.

Foto: Jules van Eijs

“Flag” ist einer der zentralen Tracks auf “Modern Living” – ein Stück, das die existenzielle Beklemmung des Alltags in eine beklemmende Soundwand gießt. Schon die ersten Zeilen „How come I’m back here after all this time? / Am I late for something?“ klingen wie ein innerer Monolog voller Zweifel und Déjà-vu. Es geht um das Gefühl, trotz aller Versuche, auszubrechen, immer wieder an denselben Punkt zurückgeworfen zu werden – sei es in Routinen, in alte Rollen oder in die Erwartungen anderer. Die wiederholten Fragen „Why do I think I’m gonna have to stay a while?“ wirken wie ein Mantra, das von Resignation und unterschwelliger Panik durchzogen ist. Dazu kommt der permanente Druck von außen: „They say I’m looking stressed, you don’t look the best“ – Beobachtung, Bewertung, Anpassung. Der Song stellt diese Fremdwahrnehmung den eigenen inneren Widersprüchen gegenüber.

Mit “Getting Ahead” (VÖ: 11.07.2025) veröffentlichten Texoprint die zweite Single aus ihrem Debütalbum. Die Band zeigt sich dabei langsamer, aber keineswegs zahmer. Stattdessen sogar schärfer, bissiger und ironisch. Es ist kein lauter Ausbruch, sondern ein zäher, sarkastischer Spaziergang durch eine Welt voller Schein, Selbstinszenierung und Karrieren, die mehr nach Plan als nach Persönlichkeit laufen.

Wo ihre erste Single “Flag” thematisch noch in einer inneren Spirale gefangen war, blickt “Getting Ahead“ nach außen – mit klaren Augen und hochgezogener Augenbraue. Der Song ist schleppend, kantig, aber direkt. Der Refrain bleibt sofort hängen: „Way to go, now you’re getting ahead / You’re moving faster than your manager said“. Der Song bewegt sich in einem schweren Groove mit scharfen Gitarren, einem fast gleichgültigen Gesang und reißt dabei die Fassade von Karrierewahn, Coolness und Selbstinszenierung Stück für Stück ein.

Der Song wirkt wie ein Kommentar zu einer Generation, die sich perfekt inszeniert – in Lebensläufen, auf Social Media, im eigenen Kopf. Frontmann David singt trocken und zynisch: „Big money’s not where I’m from.“ Es klingt, als hätte er alles schon gesehen und als wäre es kaum noch der Rede wert. Ein Song für alle, die wissen: Erfolg ist manchmal nur Fassade: gute Beleuchtung, clevere Sprüche, ein bisschen Anpassung, mehr braucht es manchmal nicht.

Texoprint haben dafür wenig übrig. Sie machen lieber Musik, die wehtut und lange nachwirkt. Die Texte bewegen sich zwischen Internet-Wahn, Angststörungen, Alltag und Albträumen. Manche sind von persönlichen Erfahrungen geprägt, andere von schrägen Online-Welten oder seltsamen Gedankenspiralen. Musikalisch gibt es unteranderem Einflüsse von My Bloody Valentine, The Jesus and Mary Chain oder Christian Death. Aber am Ende klingen Texoprint immer nur nach sich selbst.

Das Album “Modern Living” wurde an zwei besonderen Orten aufgenommen: Im Mailmen Studio, wo auch ihre erste EP entstand, und im Sahara Sound Studio, ihrem langjährigen Proberaum. Gemischt wurde es von Koen Verhees (SØWT), einem engen Freund und Wegbegleiter. Auf dem Cover sind zwei Tourist:innen im Wasser, während die Flut kommt. Ein Bild voller Unentschlossenheit – und unterschwelliger Bedrohung. Fotografiert in Zeeland von Jules van Eijs. Wie immer bei Texoprint ist das Visuelle genauso wichtig wie der Sound.

Die Vision? Groß – aber ehrlich: mehr Shows, mehr Länder, eine treue Fanbase in Europa. Vielleicht Japan. Vielleicht Südamerika. Nicht um Stars zu werden, sondern um weiter das zu tun, was sie lieben – in einer Welt, die Kunst oft unterschätzt.


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