ALBUM DER WOCHE – Pop, Parolen und Pandemie: Tocotronic gelingt mit ihrem 13. Album ein schillernder slogangepackter Soundtrack zum Irrsinn unserer Zeit und zu unseren irrlichternden Ichs.
Vor kurzem schrieb eine Twitter-Userin: „Ist euch schonmal aufgefallen, dass es für jede Phase im Pandemie-Lockdown-Zyklus einen passenden Tocotronic-Song gibt?“. Ja, von „Solidarität“ über „Sag alles ab“ hin zu „Digital ist besser“ und „Morgen wird wie heute sein“, kann man eine Pandemie-Playlist bauen – die Band selbst hat diese wunderbare Beobachtung aufgenommen und ihre Auswahl auf Spotify gestellt. Und nun, da alle leise hoffen, dass Corona sich langsam verabschiedet, betiteln die Hamburger ihr neues Album ausgerechnet „Nie wieder Krieg“ und man hofft inständig, dass sich Putin & Co. diesen Song anhören, bevor es eine neue passende Playlist gibt…
Während dieser Song und einige mehr als ruhige Liedermacher-Tracks daher kommt, wabert es woanders geradezu vor Energie, die an Sonic Youth denken lässt – vor allem in „Komm mit in unsere freie Welt“ oder der fantastischen ersten Single-Auskopplung „Jugend ohne Gott gegen Faschismus“, das zum einen die Sloganverliebtheit der Band zurückbringt und sicherlich zu den zukünftigen Konzert-Highlights gehören wird.
Und dann funkelt noch eine berührende Premiere auf dem mittlerweile 13. Album, denn erstmals findet sich mit der wunderbaren Soap&Skin und dem zärtlichen „Ich tauche ab“ ein Duett auf einem Tocotronic-Album. Die Intensität der Songs sind vielleicht auch der langen Entstehungszeit geschuldet und dauerte zwei innerliche Jahre an, während die Welt sich draußen drehte und zu zerreißen drohte. Tocotronic kleben auf jede einzelne Wunde ein Pflaster aus Pop-Parolen.
Biografie Tocotronic:
Tocotronic ist eine deutsche Rockband aus Hamburg, die Mitte der 90er stilprägend für die so genannte Hamburger Schule wurde.1993 gegründet können Tocotronic inzwischen auf 25 Jahre Bandgeschichte zurück blicken. Ihr zwölftes Album „Die Unendlichkeit“ stieg 2018 auf Platz 1 der deutschen Albumcharts ein. Die Vorzeige-Indieband veröffentlicht inzwischen auf dem Majorlabel Universal Music. Neben anderen Hamburger Bands wie Blumfeld oder Die Sterne traten Tocotoronic den so genannten Diskursindie los: Dirk von Lowtzow (Gesang, Gitarre), Jan Müller (Bass) und Arne Zank(Schlagzeug) starteten im Eigenvertrieb mit Songs wie „Meine Freundin und ihr Freund“ und erspielten sich in der Hansestadt schnell einen coolen Underground-Namen auch dank ihres Looks in Cordhose, Seitenscheitel und Trainingsjacke, der schnell kopiert wurde.
1995 erschien dann mit „Digital ist besser“ ihr Debütalbum, mit Songs die dank der sloganartigen Titel und cleveren Texte schnell zu Indiehits wurden wie „Die Idee ist gut, doch die Welt noch nicht bereit“ oder „Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein“.
Mit dem vierten Album „Es ist egal aber“ schlichen sich in die rumpligen Indiesongs Synthies und Streicher in die Musik von Tocotronic ein, aber der endgültige Stilwechsel vollzog sich mit dem neuen vierten Bandmitglied Rick McPhail (Gitarre, Keyboard), der 2004 zu Tocotronic stieß.
Als dann 2005 das siebte Album „Pure Vernunft darf niemals siegen“ erschien und mit den Nachfolgewerken „Kapitulation“ sowie „Schall & Wahn“ eine Art Berlin-Trilogie als Hommage an David Bowies „Berlin Trilogy“ geschaffen wurde, erreichen Tocotronic endgültig den deutschen Indie-Olymp sowie auch den ersten Nummer-Eins-Platz in den Album Charts mit „Schall & Wahn“.
2018 legen Tocotronic mit „Die Unendlichkeit“ ein erstmalig sehr intimes und autobiografisches Album vor. Tonspion schrieb dazu: „Wie man auf dem mittlerweile zwölften Album und mit über 40 Jahren noch drängend und direkt klingen kann, zeigen Tocotronic auf “Die Unendlichkeit” auf beeindruckende Weise: Ungewohnt autobiografisch birgt das Konzeptalbum auch Risiken der Peinlichkeit, doch diese umschiffen die Hamburger lässig“.
2020, inmitten der Coronakrise veröffentlichen Tocotronic den Song „Hoffnung“, der auch auf der Best-Of „Sag alles ab“ enthalten ist. Sie enthält die größten Hits, aber auch einige Raritäten aus der Karriere der Hamburger Band.
Diskografie Tocotronic:
1995 Digital ist besser
1995 Nach der verlorenen Zeit
1996 Wir kommen um uns zu beschweren
1997 Es ist egal, aber
1999 K.O.O.K.
2002 Tocotronic
2005 Pure Vernunft darf niemals siegen
2007 Kapitulation
2010 Schall & Wahn
2013 Wie wir leben wollen
2015 Tocotronic („Rotes Album“)
2018 Die Unendlichkeit
2020 Sag alles ab – Best of Tocotronic
2022 Nie wieder Krieg