Glen Hansard und Markéta Irglová stellten gestern gemeinsam ihr kommendes Album „Forward“ vor, das erneut unter ihrem Pseudonym The Swell Season erscheint. Hier unsere Eindrücke des intimen Konzerts.
Seit ihrem kometenhaften Aufstieg mit dem Film Once und dem darin enthaltenen Song Falling Slowly, für den sie 2008 den Oscar gewannen, war ihr gemeinsames musikalisches Projekt lange Zeit auf Eis gelegt. Nach einer intensiven, persönlichen wie künstlerischen Verbindung, folgte der Rückzug – Hansard widmete sich seiner Solokarriere, Irglová dem Familienleben auf Island. Fünfzehn Jahre nach ihrem ihrem letzten gemeinsamen Auftritt melden sie sich nun zurück. Leise, reduziert, aber eindrucksvoll.
Neues Kapitel mit „Forward“
Bei ihrem Auftritt im Berliner Admiralspalast am 19. Mai stand nicht nur Nostalgie im Vordergrund, sondern vor allem ein Blick nach vorn: Forward heißt das kommende Album, das am 13. Juni 2025 erscheinen wird. Einige Stücke daraus wurden erstmals live gespielt, in minimaler Besetzung mit Klavier, Gitarre, Schlagzeug und Bass. Gerade diese Beschränkung entfaltete eine rohe Intensität, die den Songs eine neue Tiefe verlieh. Kein oberflächlicher Studio-Glanz, kein Effekt-Overkill – nur musikalisches Handwerk und zwei Stimmen, die einander durchdringen und perfekt harmonieren.
Zwei Solist:innen, ein Projekt
Auffällig ist dabei: The Swell Season klingt 2025 weniger wie ein Bandprojekt, sondern mehr wie ein musikalisches Bündnis zweier individueller Songwriter:innen. Hansard spielt seine Lieder, Irglová ihre, und beide begleiten sich gegenseitig. Dabei entsteht keine Zerrissenheit, sondern ein subtiles Gleichgewicht. Die Intimität, die sie im Film Once so eindrucksvoll auf die Leinwand brachten, ist geblieben, aber sie hat sich verändert. Wenn die zarte Musik der tschechischen Songwriterin und die rohe Emotion des irischen Folk-Musikers aufeinandertreffen ensteht Magie wie im Song „People We Used To Be“.
Zwischen Aufbruch und Rückzug
Markéta Irglová zog sich nach dem Erfolg zunächst vollständig ins Familienleben zurück. In Island baute sie ein Familienleben auf, wurde Mutter und fand dort auch den Raum für neue musikalische Ideen. Erst jetzt, wie sie auf der Bühne erzählte, könne sie wieder reisen. Der Admiralspalast wurde somit auch zur symbolischen Schwelle zurück in die Öffentlichkeit. Ein besonders bewegender Moment war, als sie ihre Schwester, die in Berlin lebt, auf die Bühne holte, um gemeinsam einen ihrer neuen Songs zu singen.
In I Leave Everything To You nimmt sie die Perspektive einer verstorbenen Person ein, die mit den Hinterbliebenen spricht. Eine fragile, fast körperlose Ballade, die ganz tief trifft.
Zwischen Politik und Poesie
Hansard widmete seinen neuen Song Great Weight widmete er der irischen Band The Murder Capital, die zuletzt ihre Deutschlandtour absagen musste, nachdem ihnen untersagt worden war, eine palästinensische Flagge auf der Bühne aufzuhängen. Was als Song über Hoffnung gedacht war, verwandelte sich in eine düstere Meditation über Ohnmacht. Am Ende des Songs ruft Hansard „Stoppt den Genozid“ ins Publikum – eine klare politische Botschaft, mit der sich das deutsche Publikum häufig noch schwer tut. Doch gerade hier in Berlin dürfen wir nicht einfach schweigen und wegsehen angesichts des brutalen Vorgehens der israelischen Militärs gegen die Menschen in Gaza.
Zwischen Straßenmusik und Theaterlicht
Trotz ernster Themen blieb das Konzert kein schwerer Abend. Hansards musikalisches Temperament, seine Energie an der abgewetzten Gitarre „The Horse“, die ihn seit seiner Zeit als Straßenmusiker begleitet, erzeugt eine ungeheure Dringlichkeit. Wenn er bei This Gift in seine Saiten schlägt, springt der Funke sofort über. Das Publikum erhebt sich, nicht aus Pflichtgefühl, sondern aus echtem Mitgehen.
Zum Abschluss holte Hansard noch den deutschen Musiker Tim Neuhaus auf die Bühne. Gemeinsam sangen sie das zauberhafte Lied Du bist alles, bekannt aus der Serie Babylon Berlin. Die beiden Musiker hatten sich 2017 im Admiralspalast bei einer Aufzeichnung von TV Noir kennen und schätzengelernt und arbeiten seitdem immer wieder zusammen.
Offene Struktur, echte Moment
Dass die Band noch nicht vollständig eingespielt wirkte, störte niemanden. Im Gegenteil: Die offene Struktur, das Fehlen einer festen Setliste, ließ Platz für spontane Ideen. Gerade in dieser Unmittelbarkeit liegt die Kraft von The Swell Season. Sie müssen niemandem mehr etwas beweisen, sie wollen einfach wieder gemeinsam Musik machen – und das spürt man in jedem Moment des Abends.
Der Admiralspalast bot dafür den perfekten Rahmen: groß genug für eine gewisse Bühne, klein genug für Nähe. The Swell Season haben sich neu erfunden, ohne ihre Geschichte zu leugnen.
Setlist The Swell Season 19.5.2025 Berlin Admiralspalast
- Leave (Glen Hansard Song)
- Hundred Words
- Factory Street Bells
- People We Used To Be
- If You Want Me (Markéta Irglová Song)
- Fitzcarraldo (The Frames Cover)
- Stuck in Reverse
- When Your Mind’s Made Up
- The Moon
- Pretty Stories
- Feeling the Pull
- Lies
- Low Rising / Into the Mystic
- I Leave Everything to You
- Great Weight
- This Gift (Glen Hansard song)
- Falling Slowly
- Du bist alles („Babylon Berlin“ cover mit Tim Neuhaus)
- Her Mercy (Glen Hansard Song)
- Gold (Interference Cover)
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