Zum Inhalt springen

NDW: Die besten Songs der Neuen Deutschen Welle

Die Neue Deutsche Welle veränderte Anfang der 80er-Jahre die deutsche Musiklandschaft radikal – von ihren subkulturellen Ursprüngen bis zum kommerziellen Höhepunkt und schnellen Niedergang. Ein musikalischer Rückblick auf eine prägende Bewegung zu Ehren des soeben verstorbenen NDW-Godfathers Alfred Hilsberg.

Die Neue Deutsche Welle: Vom Underground-Phänomen zum popkulturellen Meilenstein

Anfang der 1980er-Jahre durchlief die deutsche Musiklandschaft eine radikale Umwälzung. Zwischen kaltem Synthesizer-Sound, dadaistischen Texten und einem starken Do-it-yourself-Ethos entstand die Neue Deutsche Welle (NDW), eine Bewegung, die Popmusik auf Deutsch neu definierte. Was als Gegenentwurf zum internationalen Mainstream begann, entwickelte sich in kürzester Zeit zur Massenbewegung. Die vom Punk geprägte Jugend befreite die deutschsprachige Musik vom Schlagermief der 60er und 70er Jahre und machte alles neu und anders.

Einflüsse aus dem Ausland und erste Impulse

Die Ursprünge der Neuen Deutschen Welle lassen sich auf die späten 1970er-Jahre zurückführen. Punk war in Großbritannien und den USA bereits auf dem absteigenden Ast, doch seine Grundidee – einfach machen, statt lange üben – wirkte in Deutschland nachhaltig. In Städten wie Düsseldorf, Hamburg und Berlin formierten sich erste Bands, die sich bewusst von der damals dominierenden Rockmusik abgrenzten. Auch in der DDR entwickelte sich eine lebendige Underground-Punkszene. Statt Gitarrenvirtuosität standen Reduktion, Kälte und Ironie im Vordergrund.

Entscheidend war auch der Einfluss der britischen Post-Punk- und New-Wave-Bewegung. Gruppen wie Joy Division, Wire oder Throbbing Gristle inspirierten zahlreiche junge Musikerinnen und Musiker, elektronische Elemente, reduzierte Arrangements und experimentelle Formen in ihre Musik einfließen zu lassen. Gleichzeitig entstand der Wunsch, sich sprachlich von der angloamerikanischen Dominanz abzusetzen. Deutsche, dadaistische Song-Texte wurden zum Markenzeichen eines eigenen neuen Musikstils.

Die frühen Jahre: DIY und Subkultur

Der Begriff Neue Deutsche Welle tauchte erstmals 1979 auf. Der Journalist Alfred Hilsberg prägte ihn in einem Artikel für das Musikmagazin Sounds, in dem er Bands wie Deutsch-Amerikanische Freundschaft (DAF), Abwärts, Der Plan oder Palais Schaumburg porträtierte. Was diese Acts verband, war eine radikale Haltung gegenüber Konventionen, gepaart mit einer Vorliebe für Synthesizer, Drumcomputer und dekonstruiertes Songwriting.

Besonders in Westberlin und Düsseldorf entwickelte sich eine experimentelle Szene, die häufig in Kunsthochschulen oder autonomen Zentren verankert war. Labels wie ZickZack (gegründet von Hilsberg) oder Ata Tak veröffentlichten erste Tapes und Vinyls von Bands, die bis heute als stilprägend gelten. Der Plan etwa kombinierte Minimal-Electro mit dadaistischen Texten und ironischer Theatralik. DAF arbeiteten mit maschinenartigem Schlagzeug und aggressivem Gesang, der mehr nach Parole als nach Gesang klang – ein Sound, der Techno um Jahre vorwegnahm.

Die Neue Deutsche Welle war zu Beginn keine klar definierte Bewegung, sondern ein Sammelbecken für unterschiedlichste ästhetische Konzepte: Punk, Minimalismus, Performance-Kunst und politische Theorie fanden hier zusammen.

Der Durchbruch: NDW wird Pop

Ab 1981 zeichnete sich eine massive Veränderung ab. Plattenfirmen hatten das kommerzielle Potenzial der NDW erkannt und begannen, Acts unter Vertrag zu nehmen, die den rauen Charme des Undergrounds in zugängliche Popformate überführten. Der Song „Eisbär“ von Grauzone (obwohl aus der Schweiz) wurde zu einem ersten Hit, es folgten Ideal mit „Blaue Augen“, Extrabreit mit „Hurra, hurra, die Schule brennt“ und Palast Orchester mit „Der Kommissar“.

1982 war schließlich das große Jahr der Neuen Deutschen Welle. In den Charts dominierten Künstler wie Nena, Markus, Hubert Kah, Peter Schilling oder Fräulein Menke. Der Song „99 Luftballons“ von Nena wurde weltweit zum Symbol einer Generation, die zwischen Atomangst und Aufbruch lebte. NDW war plötzlich überall: im Radio, im Fernsehen, auf Bravo-Postern und in der Werbung.

Der Sound wurde glatter, die Produktionen aufwendiger, der Humor oft klamaukartig. Die Texte handelten nicht mehr von Entfremdung und Systemkritik, sondern von Urlaub, Liebe oder Science-Fiction. Damit veränderte sich auch das Publikum. Was einst als elitäre Subkultur begann, wurde zum Massenphänomen und verlor dabei einen Großteil seines künstlerischen Kerns. Die großen Labels signten alles und jeden, der auf Deutsch sang und die Musik driftete immer stärker in Richtung Schlager.

Kritik und Verfall: Vom Hype zur Parodie

Der rapide Aufstieg führte unweigerlich zum Niedergang. Bereits 1983 mehrten sich kritische Stimmen, die der NDW vorwarfen, sich selbst verraten zu haben. Viele Underground-Künstler distanzierten sich öffentlich von der Bewegung. DAF etwa trennten sich 1982 vorübergehend und verwarfen das Label NDW vollständig. Auch Ideal lösten sich auf dem Höhepunkt ihres Erfolgs auf. Sängerin Annette Humpe verlagerte sich gemeinsam mit ihrer Schwester Inga, die gemeinsam mit DÖF einen der größten Hits der NDW hatte, auf englischsprachigen Pop und wollte mit dem Label NDW nichts mehr zu tun haben.

Die Industrie hatte in kürzester Zeit dutzende Acts aus dem Boden gestampft, von denen viele keine nachhaltige Karriere aufbauen konnten. Die Ästhetik der NDW wurde zur Parodie ihrer selbst: kitschige Kostüme, alberne Reime und aufgesetzte Fröhlichkeit dominierten das Bild. In TV-Shows wie der „ZDF-Hitparade“ oder „Formel Eins“ trat kaum noch jemand auf, der dem ursprünglichen Geist der NDW entsprach.

Ab Mitte 1984 war der Spuk weitgehend vorbei. Die Verkaufszahlen brachen ein, das Publikum wandte sich neuen Genres wie dem Mainstream-Rock oder der entstehenden Dance- und Hip-Hop-Kultur zu. Innerhalb von fünf Jahren war die Neue Deutsche Welle gekommen, explodiert und wieder verschwunden.

Kulturelles Erbe und Nachwirkungen

Trotz ihres kurzen Lebenszyklus bleibt die Neue Deutsche Welle ein zentrales Kapitel der deutschsprachigen Popgeschichte. Sie war die erste Bewegung, die sich konsequent von angloamerikanischen Vorbildern emanzipierte und eine eigenständige deutschsprachige Popidentität formte. Ohne NDW wäre der spätere Erfolg von Künstlern wie Tocotronic, Wir sind Helden, Deichkind oder AnnenMayKantereit kaum denkbar.

Insbesondere der frühe NDW-Untergrund wirkte stilbildend für Genres wie Electroclash, Minimal Wave oder Neue Deutsche Härte. Auch das Revival deutschsprachiger Texte in der Popmusik der 2000er-Jahre lässt sich auf das Erbe der NDW zurückführen. Viele der damaligen Protagonist:innen wurden später wiederentdeckt oder neu bewertet. Andreas Dorau, Der Plan oder Malaria! erfahren heute eine größere Wertschätzung als zu ihrer aktiven Zeit.

Auch heute noch berufen sich viele junge Künstler auf NDW und man könnte angsichts der vielen deutschsprachigen Künstler in den deutschen Charts von einer neuen NDW sprechen, doch die meisten haben mit dem rebellischen DIY-Spirit der damaligen Zeit nichts mehr zu tun und werden von den großen Labels vermarktet.

Wer heute auf die NDW zurückblickt, entdeckt viel mehr als nur schrille Outfits, Nonsens-Texte und eingängige Synthesizer-Melodien. Es war ein kulturelles Labor, in dem vieles ausprobiert wurde. Der Rest ist Popgeschichte.

Hier kommen jedenfalls die (subjektiv) besten und prägendsten Songs aus der NDW-Zeit:

Kraftwerk – Die Roboter (1978)

Kraftwerk verbindet man vielleicht nicht sofort mit der Neuen Deutschen Welle, aber wahrscheinlich war die Düsseldorfer Band mit Songs wie “Radioaktivität”, “Roboter” oder “Das Modell” der Urknall, der vielen Musikern eine ganz neue Welt eröffnete. So eigenwillig, konsequent und avantgardistisch war Popmusik aus Deutschland nie zuvor und auch danach nie wieder.

Rheingold – Dreiklangsdimensionen (1980)

In einer gerechten Welt hätte dieser Pionier des Synthiepops ähnlichen Status wie Kraftwerk. Und der bizarre Horror-Film “Der Fan” mit Sänger Bodo Staiger und Désirée Nosbusch in der Hauptrolle wäre auch nicht vergessen.

Joachim Witt – Goldener Reiter (1980)

Auch in diesem Lied ist der Text diametral zum eingängigen Kinderlied-Muster, denn es geht um einen Mann, der wegen Schizophrenie in eine psychiatrische Klinik eingewiesen wird.

Ideal – Blaue Augen (1981)

Annette Humpe (auch Background-Sängerin bei Trios “Da Da Da” und “Herz ist Trumpf”) schrieb das Lied zusammen mit den Neonbabies und die Textzeile “Deine blauen Augen machen mich so sentimental” wurde zum geflügelten Flirt-Wort in den Achtziger Jahren. Nach dem Ende ihrer Band führte Annette Humpe Künstler wie Rio Reiser, Die Prinzen und Adel Tawil als Produzentin zum Erfolg.

Grauzone – Eisbär (1981)

Ein trojanisches Pferd unter den NDW-Klassikern, das mitten in einer kindlichen und eingängigen Melodie ein lärmendes Jazzgescheppere einbaut.

Palais Schaumburg – Wir bauen eine neue Stadt (1981)

Der Text ist einer Kinderoper entlehnt und extrem dadaistisch: Betrachtet man das Video aus dem Jahr 1981 glaubt man eigentlich eher zeittypische Hipster zu sehen.

Trio – Da Da Da (1982)

Das radikal Minimale und repetetiv Stoische an “Da Da Da” sorgte für Empörung, genauso wie der erste Auftritt in der ZDF-Hitparade: Während Stephan Remmler sein Spielzeug-Casio-Keyboard spielte, demonstrieren die Bandmitglieder gepflegte Langeweile. Was die geschockten Schlagerfans damals nicht wussten: Trio wurde von Grammy-Gewinner Klaus Voormann entdeckt, der vorher für Lennon und Lou Reed Bass spielte. Mit Trio landete er den ersten großen Hit der NDW.

Hubert Kah – Sternenhimmel (1982)

Auch seine Auftritte sorgten für Skandale und so inszenierte sich die “Lady Gaga des NDW” mal im Nachthemd, mal in Zwangsjacke. 

Andreas Dorau – Fred vom Jupiter (1981)

Mit gerade mal 15 Jahren hatte Andreas Dorau seinen ersten Hit. Geschrieben wurde das Lied während einer Schul-AG namens “Wie entsteht ein Pop-Titel?”. Erfolgreicher kann man so ein Projekt wohl nicht abschließen als mit einem Evergreen.

Nena – Nur geträumt (1982)

Mit “Nur geträumt” stürmte Gabriele Susanne Kerner mit ihrer Band Nena 1982 die Charts. Das ganze Land war schockverliebt in die damals 22-Jährige, die zuvor die Fanpost für Spliff im Büro ihres Managers Jim Rakete beantwortete. Er erkannte ihr Talent und machte sie über Nacht zu Deutschlands größtem Star. Bis heute kennt jeder auf der Welt Nena und ihre “99 Luftballons”, ein Song der den Höhepunkt und gleichzeitig das Ende der NDW symbolisiert, bevor die Plattenfirmen die Neue Deutsche Welle mit Unmengen drittklassigem Abklatsch zum alten Hut machten.

Playlist: Die besten NDW-Songs


NEU: Der Tonspion Backstage Pass

Jede Woche neue Musik, Filme & Podcasts – direkt in deine Mailbox.
Mit dem Backstage Pass liest du alle Artikel, erhältst exklusive Updates und hilfst, unabhängigen Musikjournalismus langfristig zu erhalten. Optional: alle nervigen Banner dauerhaft abschalten!