Mit seinem neuen Album Artifact vollzieht Parov Stelar einen deutlichen stilistischen Wandel. Statt tanzbarer Retro-Hooks setzt der österreichische Produzent auf orchestrale Klangflächen und cineastische Spannungsbögen.
Schon seit Jahren deutete sich an, dass Parov Stelar nicht auf ewig in der Electro-Swing-Schiene bleiben würde. Auf früheren Alben wie The Burning Spider oder Voodoo Sonic waren erste Tendenzen zu hören, sich vom Sample-basierten Ansatz früherer Produktionen zu lösen.
Artifact markiert den bisher konsequentesten Schritt in Richtung musikalischer Neuerfindung. Statt auf wuchtige Swing-Loops oder Vintage-Vocals setzt Stelar auf ein vielschichtiges Klangbild, das sich aus klassischen Streichern, melancholischem Piano und elektronischen Elementen zusammensetzt. Die Beats bleiben ein zentrales Element, doch sie treten oft hinter die melodischen und emotionalen Ebenen zurück.
In Interviews spricht Parov Stelar davon, dass ihn insbesondere die Idee von „Artefakten“ beschäftigt habe: Spuren, Erinnerungen, mentale Fragmente, die Menschen in sich tragen oder hinterlassen. Diese Grundidee durchzieht das gesamte Album.
Bereits der eröffnende Titeltrack „Artifact“ lässt erkennen, in welche Richtung sich das Album bewegt. Ein sich langsam aufbauendes Arrangement aus warmen Streichern, getragenen Synthesizer-Flächen und subtil eingesetzten Rhythmen kreiert eine filmische Athmosphäre. Parov Stelar arbeitet mit Kontrasten, verzichtet auf einfache Hooklines und setzt stattdessen auf schichtweise Kompositionen, die sich oft erst beim wiederholten Hören erschließen.
Ein Beispiel dafür ist „Rebel Love“, einer der energetischeren Tracks auf Artifact. Hier verbinden sich orchestrale Elemente mit einem markanten Beat, doch auch hier steht nicht der Rhythmus im Vordergrund, sondern die emotionale Aufladung der einzelnen Klangfragmente. Der Track changiert zwischen Aufbruchsstimmung und Melancholie, bleibt aber nie eindeutig, sondern lässt Raum für Interpretationen. Diese Ambivalenz ist ein durchgängiges Merkmal des Albums: Artifact will nicht erklären, sondern erzählen, ohne dabei didaktisch zu wirken.
Parov Stelar gelingt es auf Artifact, die Grenzen zwischen elektronischer Musik, klassischer Instrumentierung und cineastischer Gestaltung nahezu nahtlos zu überblenden. Dabei bleibt das Album jedoch stets zugänglich. Es ist kein experimentelles Avantgarde-Projekt, sondern ein vielschichtiges Werk, das mit gewohnter Produktionsqualität und kompositorischer Finesse überzeugt. Gerade in der Kombination von emotionaler Tiefe und klanglicher Präzision liegt eine der Stärken dieses Albums.
Begleitet wird das Album von einer ausgearbeiteten visuellen Gestaltung. Die Artworks, Videos und grafischen Elemente folgen dem zentralen Motiv des „Artefakts“ und erschaffen eine kohärente ästhetische Welt, die über das rein Musikalische hinausgeht. Traumhafte Bildwelten, oft in gedeckten Farben und mit surrealen Elementen, unterstreichen die introspektive Stimmung des Albums.
Biografie Parov Stelar
Marcus Füreder alias Parov Stelar zählt zu den erfolgreichsten und stilprägenden Elektronik-Produzenten Europas. Mit seiner unverkennbaren Mischung aus Electro, Jazz, Swing und House hat er ein eigenes Genre geprägt und sich international als Live-Act und Produzent etabliert. Seit den frühen 2000er-Jahren veröffentlichte der Österreicher eine Reihe stilistisch vielseitiger Alben, die von tanzbaren Clubtracks bis hin zu cineastischen Klanglandschaften reichen. Dabei blieb er stets unabhängig und veröffentlichte seine Musik über sein eigenes Label Etage Noir Recordings.
Rough Cuts (2004)
Parov Stelars Debütalbum Rough Cuts erschien 2004 und markierte zugleich den Beginn eines neuen musikalischen Konzepts: Die Verbindung von elektronischen Beats mit jazzigen Samples und vintage-inspirierten Sounds setzte ihn deutlich vom gängigen Clubsound der Zeit ab. Die Tracks waren reduziert arrangiert, doch voller Groove und Atmosphäre. Mit diesem Album etablierte Füreder den später vielzitierten Electro-Swing-Stil, ohne ihn bewusst als Genre zu konzipieren. Es war vielmehr ein Resultat seiner Einflüsse: Jazz, Soul, Funk und elektronische Clubmusik.
Seven and Storm (2005)
Bereits ein Jahr nach dem Debüt folgte Seven and Storm, das den Ansatz von Rough Cuts weiterführte und verfeinerte. Die Tracks waren nun strukturierter, stärker auf klassische Songformate ausgelegt, zugleich tanzbarer und ausgereifter produziert. Besonders in der Clubszene machte sich das Album schnell einen Namen – Stücke wie „KissKiss“ oder „Love Pt. 1“ wurden international in DJ-Sets gespielt. Der Begriff „Electro Swing“ war geboren und wurde bald eng mit dem Namen Parov Stelar verknüpft.
Shine (2007)
Mit dem dritten Album Shine öffnete sich Parov Stelar weiter in Richtung Songstrukturen und Popformate. Die jazzigen Elemente traten etwas in den Hintergrund, dafür gewannen Vocals, Soul-Referenzen und Melodien an Gewicht. Die stilistische Bandbreite reichte von loungigen Instrumentals bis hin zu clubtauglichen Tracks mit Gesang, etwa „Lost In Amsterdam“ oder „Shine“. Shine war damit ein Brückenschlag zwischen Elektronik und Pop, ohne die für Stelar typische Eleganz zu verlieren.
Coco (2009)
Coco erschien als Doppelalbum und zeigte erstmals die ganze Bandbreite des Parov-Stelar-Universums. Während die erste Hälfte cluborientierte Tracks und Hits wie „Catgroove“ oder „Matilda“ enthielt, präsentierte der zweite Teil experimentellere Kompositionen mit stärkerem Fokus auf Atmosphäre und Sounddesign. Jazz, Swing, Downbeat und Electronica verbanden sich zu einem organischen Gesamtbild. Coco markierte damit nicht nur einen kreativen Höhepunkt, sondern auch die Etablierung Parov Stelars als Künstler mit einer eigenen Ästhetik.
The Princess (2012)
Auch The Princess wurde als Doppelalbum veröffentlicht und setzte das Konzept der stilistischen Zweiteilung fort. Hier fanden sich erneut tanzbare Swing-Nummern, aber auch introspektive, fast balladenhafte Stücke. Besonders Tracks wie „The Princess“, „Jimmy’s Gang“ oder „Nobody’s Fool“ unterstrichen den wachsenden Einfluss von Soul und Pop auf Stelars Musik. Gleichzeitig wurde die visuelle Komponente seiner Kunst wichtiger: Artwork, Musikvideos und Bühnenshows folgten einem einheitlichen Gestaltungsprinzip und stärkten die Marke Parov Stelar.
The Art of Sampling (2013)
Mit The Art of Sampling veröffentlichte Parov Stelar eine Art konzeptuelles Werk, das sich mit dem Sampling als künstlerischem Werkzeug auseinandersetzte. Die Tracks auf diesem Album thematisierten nicht nur musikalisch, sondern auch strukturell den Umgang mit bereits existierendem Material. Neben neuen Produktionen enthielt das Album auch überarbeitete Versionen älterer Stücke. Stilistisch bewegte sich das Album zwischen den Polen der vorangegangenen Veröffentlichungen, wobei der Fokus stärker auf dem Producing und der Klangästhetik lag.
The Demon Diaries (2015)
Mit The Demon Diaries begann eine neue Phase im Schaffen von Parov Stelar. Die Tracks wurden düsterer, energetischer, die Produktionen dichter. Swing blieb ein Element, trat jedoch zunehmend hinter massivere Beats und melancholische Melodien zurück. Songs wie „Demon Dance“ oder „Hit Me Like A Drum“ öffneten sich auch für Indie- und Rock-Einflüsse, unterstützt von Gastsänger:innen. Das Album spiegelte eine spürbare Entwicklung in Richtung eines größeren, fast stadiontauglichen Sounds – nicht zuletzt für die aufwändigen Live-Shows, mit denen Parov Stelar weltweit tourte.
The Burning Spider (2017)
Auf The Burning Spider erweiterte Parov Stelar sein Klangspektrum erneut, diesmal stärker in Richtung Blues und frühen Jazz. Das Album war weniger auf Tanzbarkeit ausgerichtet und präsentierte sich als musikalische Hommage an vergangene Jahrzehnte. Stücke wie „All Night“ oder „Step Two“ arbeiteten mit Samples aus dem Delta Blues und ließen sich Zeit für musikalische Entwicklungen. Die Produktion war nuancierter, organischer – ein Bruch mit den schnelllebigen Club-Formaten der Vergangenheit.
Voodoo Sonic (2020/2021)
Mit Voodoo Sonic veröffentlichte Parov Stelar eine Trilogie, die zunächst in drei EPs erschien und später als Album zusammengeführt wurde. Die Stücke kombinierten verschiedene Elemente seines bisherigen Schaffens: Electro Swing, Funk, Soul, aber auch experimentellere Ausflüge in elektronische Subgenres. In Songs wie „Brass Devil“ oder „Tango Del Fuego“ zeigte sich eine neue Verspieltheit im Umgang mit Genres und Samples. Die Trilogie erschien mitten in der Pandemiezeit und wurde von einer aufwendigen visuellen Kampagne begleitet, in der sich Stelars Faible für surrealistische Bildsprache weiter entfaltete.
Moonlight Love Affair (2022)
Das Album Moonlight Love Affair präsentierte sich als Rückbesinnung auf tanzbare Formate, allerdings ohne einfache Retro-Zitate. Parov Stelar setzte verstärkt auf Eigenkompositionen und reduzierte den Sampleeinsatz zugunsten von organischen Sounds. Das Ergebnis war ein Album, das den Dancefloor wieder stärker in den Fokus rückte, gleichzeitig aber reifer und stilistisch kontrollierter wirkte als frühere Werke. Die titelgebende „Love Affair“ war hier weniger nostalgisch als vielmehr künstlerisch reflektiert.
Artifact (2025)
Mit Artifact verlässt Parov Stelar endgültig die engen Grenzen des Electro Swing und erschafft ein vielschichtiges, introspektives Album, das zwischen elektronischer Musik, orchestralen Arrangements und cineastischer Dramaturgie angesiedelt ist.
