Die Rückkehr von The Armed fällt schon im Albumtitel kompromisslos aus: Mit The Future Is Here and Everything Needs to Be Destroyed veröffentlicht das experimentelle Hardcore-Kollektiv aus Detroit sein bisher radikalstes Album und schlägt ein neues Kapitel in seiner Entwicklung auf.
Nach der Trilogie aus Only Love (2018), ULTRAPOP (2021) und Perfect Saviors (2023), die sich mit Fragen nach Authentizität und Inszenierung im digitalen Zeitalter beschäftigte, hat die Band alle konzeptionellen Leitplanken über Bord geworfen. Es gibt keine ausgefeilten Metaebenen, keine ironische Brechung und keine mysteriösen Figuren im Hintergrund. Stattdessen steht rohe Emotion im Mittelpunkt.
„Dieses Album lehnt die G-rated-Rebellion ab, die für den oberen Mittelstand kuratiert wurde. Es ist Musik für eine statistisch wohlhabende Bevölkerung, die sich trotzdem weder Essen noch Medikamente leisten kann und in ihren Feeds zwischen Urlaubsfotos, Fitness-Selfies und Bildern von amputierten Kindern scrollt.“
Tony Wolski
In diesem Zitat steckt der Kern von The Future Is Here and Everything Needs to Be Destroyed: Weltschmerz, also die Diskrepanz zwischen einer idealisierten Welt und der harten Realität, in die wir täglich blicken.
Schon der Opener „Well Made Play“ wirkt wie ein musikalischer Zusammenbruch von Stadt und System. Die Stücke wechseln zwischen infernalischen Breakdowns, freiem Jazz-Skronk und apokalyptischen Synthflächen, die sich wie ein Katastrophenszenario anfühlen. Trotz dieser Zerstörungswut bleibt die Produktion präzise und fokussiert.
Die Stücke des Albums leben von ständigen Brüchen und Transformationen. „Purity Drag“ eröffnet mit einem beinahe klassischen Piano-Pattern und endet in manischen Schreien.
Trotz all der Aggression überrascht das Album immer wieder mit Momenten, die fast hymnisch wirken. „Sharp Teeth“ und „I Steal What I Want“ gehören zu den zugänglichsten Songs in der Diskografie der Band. Besonders „Local Millionaire“, das in einem sarkastischen „Go fuck yourself!“ gipfelt, verbindet die Energie von Refused mit der ungestümen Vitalität des frühen Rock’n’Roll.
„Heathen“ wiederum taucht in dichten Shoegaze ein, wie man ihn etwa von Nothing kennt, und veredelt ihn mit jazzigem Saxofon. Das verleiht dem Stück eine unerwartete epische Dimension. Im Finale „A More Perfect Design“ zeigt die Band noch einmal die gesamte Spannweite ihres Könnens. Innerhalb weniger Minuten wechseln sich jazzige Eskalationen, dissonantes Screamo und absurde Cheerleader-Chants ab, bis die Musik förmlich über sich selbst hinauswächst.
Mit The Future Is Here and Everything Needs to Be Destroyed setzen The Armed ein klares Zeichen. Hardcore, Noise, Shoegaze und Art Rock verschmelzen zu einem kontrollierten Chaos, das herausfordert, mitreißt und überwältigt. Es ist ein Album, das man nicht nur hört, sondern körperlich spürt, ein Werk voller Energie und Ideen, das auf jede Beschönigung verzichtet.
The Armed – Biografie
The Armed gehören zu den unberechenbarsten und experimentierfreudigsten Bands der zeitgenössischen Rock- und Hardcore-Szene. Das aus Detroit stammende Kollektiv hat sich durch extreme stilistische Offenheit, kompromisslose Energie und eine konsequente Verweigerung klassischer Bandkonventionen einen Namen gemacht. Ihre Musik bewegt sich zwischen Hardcore, Noise, Metal, Shoegaze, Pop und elektronischen Einflüssen.
Untitled (2015)
Über die Anfänge von The Armed ist nur wenig bekannt, was Teil der bewusst gepflegten Geheimhaltung der Band war. Bereits in den frühen 2010er-Jahren tauchten erste Songs online auf, begleitet von kryptischen Botschaften und ohne klare Angaben zu den beteiligten Musikern. Das erste größere Statement kam 2015 mit dem schlicht betitelten Album Untitled.
Dieses Werk zeigte bereits die wesentlichen Elemente, die die Band auszeichnen: kompromissloser Hardcore, übersteuerte Gitarren, plötzliche stilistische Brüche und eine auffallend präzise Produktion. Live trat die Gruppe zunächst nur sporadisch auf, oft mit wechselnden Besetzungen. Schon damals fiel auf, dass The Armed eher wie ein offenes Kollektiv funktionierten als wie eine klassische Band.
Only Love (2018)
2018 erschien das Album Only Love, das den Ruf der Band erheblich vergrößerte. Die Songs verbanden aggressiven Hardcore mit eingängigen Melodien, elektronischen Texturen und einer fast cineastischen Wucht. Kritiker lobten die Mischung aus brutaler Energie und kunstvoller Konstruktion.
Parallel dazu kultivierte die Band ihre Geheimniskrämerei weiter. Interviews erschienen mit angeblichen Bandmitgliedern, die später als Freunde oder Bekannte entlarvt wurden. Fotos und Videos spielten gezielt mit falschen Identitäten und Inszenierungen. Diese Strategie führte zu Spekulationen, ob The Armed ein reines Kunstprojekt oder ein loses Netzwerk von Musikern seien.
ULTRAPOP (2021)
2021 veröffentlichten The Armed ULTRAPOP, ein Album, das die extremen Hardcore-Wurzeln mit glänzender, fast poppiger Produktion verband. Der Titel war Programm. Das Kollektiv hinterfragte hier die Grenze zwischen Pop und radikalem Lärm und verpackte die Aggression in eine Oberfläche, die gleichzeitig grell und kunstvoll wirkte.
In dieser Phase erhielt die Band erstmals breite mediale Aufmerksamkeit. Große Musikmagazine porträtierten The Armed und hoben die Mischung aus musikalischer Radikalität und visueller Überwältigung hervor. Live-Auftritte entwickelten sich zu audiovisuellen Attacken mit einer Vielzahl von Musikern auf der Bühne.
Perfect Saviors (2023)
2023 folgte Perfect Saviors. Tony Wolski bezeichnete es als „unironischen Versuch, das größte Rockalbum des 21. Jahrhunderts“ zu schaffen. Die Songs waren melodischer, orchestrierter und weniger konfrontativ als zuvor. Kritiker reagierten überwiegend positiv, doch einige langjährige Fans empfanden das Werk als weniger kompromisslos.
The Future Is Here and Everything Needs to Be Destroyed (2025)
2025 kehrten The Armed mit The Future Is Here and Everything Needs to Be Destroyed zurück zu ihrer unberechenbaren Natur. Das Album verzichtet auf konzeptionelle Spielereien und konzentriert sich auf rohe Emotion, Aggression und kreatives Chaos. Die Songs durchqueren mehrere Genres in rasantem Wechsel, sie klingen wütend, drängend und unmittelbar.
Besetzung und Identität
Die Identität der Band war stets fließend. Zu den wiederkehrenden Mitgliedern zählen Tony Wolski als Sänger und kreative Leitfigur sowie Gitarrist Dan Greene. Dazu kommen wechselnde Musiker aus der Detroit-Szene und gelegentliche prominente Gäste wie Ben Koller von Converge. The Armed verstehen sich als offenes Kollektiv, in dem individuelle Rollen zweitrangig sind gegenüber der gemeinsamen künstlerischen Idee.