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Yungblud – Idols (Album 2025)

Mit „Idols“ veröffentlicht Yungblud sein viertes Studioalbum – und legt damit den ersten Teil eines ambitionierten Doppelprojekts vor.

★★★★☆

Der 27-jährige Brite, bürgerlich Dominic Harrison, inszeniert sich auf „Idols“ weniger als der hyperaktive Punk-Pop-Rebell früherer Tage, sondern als gereifter Künstler mit einem klaren Blick auf die Brüche, Widersprüche und Sehnsüchte einer Generation, die sich in Dauerbeobachtung selbst verliert.

Der Einstieg ist alles andere als zurückhaltend: „Hello, Heaven Hello“, die erste Single und zugleich das Eröffnungsstück des Albums, ist ein neunminütiger Hybrid aus Rock-Oper, Pop-Theater und Emo-Drama. Das Stück springt in seiner Struktur wild umher, changiert zwischen hymnischen Refrains, akustischen Passagen und elektronischen Störgeräuschen.

Yungblud nutzt „Idols“ als narrative Klammer für eine Auseinandersetzung mit Identität, Selbstinszenierung und öffentlicher Erwartungshaltung.

„Idols Part 1“ folgt als zweiter Track und bringt die Grundthemen des Albums prägnant auf den Punkt. Zwischen emotionalem Overload und intimer Selbstreflexion stellt Yungblud die Frage, was aus dem Wunsch geworden ist, ein Vorbild zu sein oder auch nur man selbst. Der Text pendelt zwischen Pathos und Verletzlichkeit. Eine nahtlose Überleitung führt in „Lovesick Lullaby“, einem der energetischsten Tracks des Albums.

Mit „Zombie“ wechselt die Stimmung abrupt: Eine ruhige, balladeske Komposition, getragen von offenen Harmonien und fast schüchtern eingesetzten Streichern. Es ist eine der direktesten und emotionalsten Nummern auf „Idols“. Harrison singt hier ohne ironische Brechung, ohne Manierismen und trifft damit umso tiefer. Die Inszenierung des Musikvideos verstärkt diesen Eindruck noch: Ein Song, der nicht schreit, sondern leise bleibt und genau darin seine Wirkung entfaltet.

Ein weiteres Highlight ist „Ghosts“, eine fast sechsminütige, organisch wachsende Pop-Komposition, die mit U2-artiger Gitarrenarbeit beginnt, um dann in ein orchestrales Finale mit Sprechgesang, Falsett und funkigem Bass überzugehen. Es ist einer der aufwendigsten Tracks der Platte, aber keiner, der sich in seinem eigenen Bombast verliert. Vielmehr bleibt das Arrangement stets im Dienst der Songidee.

Yungblud zitiert auf „Idols“ aus einer Vielzahl von Genres und Epochen: Britpop-Anleihen („Lovesick Lullaby“), Emo-Ästhetik à la My Chemical Romance („Change“), elektronische Elemente mit Industrial-Anstrich („Monday Murder“) sowie klassische Rock-Songwriting-Elemente, wie man sie von den großen Konzeptalben der 70er kennt.

Dabei gelingt es Harrison weitgehend, die verschiedenen Stilmittel nicht nur als Zitate zu verwenden, sondern in seine eigene Klangsprache zu integrieren. Die Produktion bleibt dabei stets klar, lässt aber Raum für Unsauberkeiten, Störgeräusche, Brüche.

Einziger echter Schwachpunkt des Albums ist die mitunter dünne Stimme des Sängers. Er ist kein Thom Yorke oder Matthew Bellamy, nicht mal ein Robbie Williams, gleicht dieses Manko aber mit unbestreitbaren Starqualitäten wieder aus. Das Social Media Game beherrscht er derzeit wie kaum ein anderer im Rockzirkus.

Mit „Idols“ gelingt Yungblud ein Schritt in eine neue künstlerische Phase. Weniger rotzig, dafür pointierter. Weniger kalkulierter Exzess, dafür mehr Selbsthinterfragung. Was in frühen Jahren oft wie reine Provokation wirkte, hat nun an Tiefe gewonnen. Das Album dokumentiert eine Entwicklung eines jungen Künstlers und es macht neugierig auf den zweiten Teil.

Biografie Yungblud

Yungblud (Foto: Live Nation)

Dominic Richard Harrison, besser bekannt unter seinem Künstlernamen Yungblud, gehört zu den schillerndsten Figuren der jüngeren Popgeschichte. Zwischen Glam-Rock-Attitüde, politischen Statements und emotionaler Offenheit hat sich der Brite seit seinem Durchbruch 2018 eine eigenständige Position im Spannungsfeld von Alternative, Punk und Mainstream erarbeitet. Mit seiner extrovertierten Präsenz, seinem offenen Umgang mit psychischer Gesundheit, Sexualität und gesellschaftlichen Normen spricht er vor allem eine junge Generation an, die sich in traditionellen Rollenbildern nicht mehr wiederfindet.

„Ich möchte einfach lieben, wen ich liebe, und mich kleiden, wie ich mich fühle. Es geht darum, ich selbst zu sein – ohne mich entschuldigen zu müssen.“

Geboren wurde Harrison am 5. August 1997 in Doncaster, einer nordenglischen Stadt mit Arbeitergeschichte, die in seiner künstlerischen Entwicklung eine prägende Rolle spielt. Seine Familie war musikalisch vorgeprägt: Der Vater handelte mit Vintage-Gitarren, der Großvater spielte Bass in der britischen Rockband T. Rex. Harrison lernte früh Gitarre und schrieb bereits mit elf Jahren erste eigene Songs.

Jugend zwischen Wut und Pop-Appeal

Seine Schulzeit beschreibt Yungblud rückblickend als konfliktreich. Wegen seiner Kleidung, seiner Offenheit und seiner Andersartigkeit wurde er gemobbt und ausgegrenzt. Erfahrungen, die später zum Fundament seiner Texte wurden. Nach eigenen Angaben litt er in der Jugend unter ADHS, was zunächst als Schwäche stigmatisiert wurde, ihm aber letztlich half, seine impulsive Energie auf der Bühne kanalisiert einzusetzen.

Mit 16 zieht Harrison nach London, um sich auf die Musik zu konzentrieren. Zunächst schreibt er Songs für Werbespots und Popproduktionen, doch schnell wird klar: Seine Musik braucht eine eigene Stimme. Eine, die sich nicht anpasst, sondern Reibung sucht.

Durchbruch mit „21st Century Liability“

2018 erscheint sein Debütalbum „21st Century Liability“, das ihn schlagartig bekannt macht. Der Sound ist eine explosive Mischung aus Punkrock, Hip-Hop, Britpop und elektronischen Elementen. Themen wie Wut, Identität, Mental Health, Queerness und politische Ohnmacht stehen im Vordergrund.

Der Song „Polygraph Eyes“, der sexualisierte Gewalt im Nachtleben thematisiert, wird zu einem frühen Signature-Track. Die Live-Shows sind laut, wild und exzessiv. Yungblud trägt Röcke, Nagellack und ruft dazu auf, gesellschaftliche Zwänge zu hinterfragen. Der britische Musikjournalismus stürzt sich schnell auf ihn – und sieht in ihm sowohl einen Hoffnungsträger des Rock-Revivals als auch eine Kunstfigur mit disruptivem Potenzial.

Kollaborationen und Chart-Erfolge

Der internationale Durchbruch gelingt mit einer Reihe von Features: 2019 veröffentlicht er zusammen mit Halsey und Travis Barker den Song „11 Minutes“, später folgen Tracks mit Machine Gun Kelly, Marshmello oder Dan Reynolds von Imagine Dragons. Yungblud wird zur Schnittstelle zwischen Rock und Pop, Punk und TikTok, Rebellion und Streaming-Erfolg.

Sein zweites Album „Weird!“ erscheint 2020 und landet auf Platz 1 der britischen Charts. Die Pandemie verhindert eine ausgedehnte Tour, doch online wächst seine Fanbase weiter. Harrison nutzt Livestreams, Instagram und TikTok, um nahbar zu bleiben. Seine Community nennt er nicht zufällig „The Black Hearts Club“, ein virtueller Schutzraum für alle, die sich sonst nirgendwo zugehörig fühlen.

Musikalische Reifung und politisches Engagement

2022 folgt das selbstbetitelte Album „Yungblud“, auf dem Harrison reifer und kontrollierter wirkt. Der Sound bleibt vielfältig, aber die Songs wirken konstruierter, teilweise klassischer im Aufbau. Kritisch beäugt wird dabei sein Image als Sprachrohr der Jugend, das mit wachsendem Erfolg immer stärker kommerzialisiert wird. Doch Yungblud gelingt es, den Spagat zwischen Pop und Subkultur aufrechtzuerhalten, auch weil er in Interviews und auf Social Media stets klar Position bezieht: gegen Rassismus, gegen Transfeindlichkeit, gegen rechte Politik.

Seine Auftritte, etwa beim Lollapalooza oder Reading Festival, werden zu Manifestationen einer queeren, politischen Popkultur, die auf Mitsprache setzt.

Idols und der nächste Schritt

Mit seinem vierten Album „Idols“ (2025) zeigt sich Yungblud in einer neuen Phase. Weniger auf Krawall gebürstet, stattdessen nachdenklicher, ernster, teilweise fast verletzlich. Das Werk ist als erster Teil eines Doppelalbums angelegt und widmet sich der Frage, wie junge Menschen heute mit Erwartungshaltungen, Vorbildern und Identität umgehen.


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