Fast vier Jahrzehnte nach ihrer Gründung beweisen Brett Anderson und seine Band Suede mit ihrem neuen Album „Antidepressants“, dass ihr nostalgisch anmutender Sound keinesfalls von gestern ist.
Wer Suede noch immer mit dem Etikett „Britpop“ versieht, hat den Faden spätestens jetzt verloren. Die einstige Außenseiterrolle im Glanz der 90er ist längst zur Haltung geworden, die das aktuelle Werk maßgeblich prägt.
Schon der Opener Disintegrate macht deutlich, worum es auf Antidepressants geht: Auflösung, Kontrollverlust, radikale Ehrlichkeit. Gitarren zersägen den Raum, der Beat treibt nach vorn, Andersons Stimme klingt nicht versöhnlich, sondern alarmierend. Der Text – eine Mischung aus Rückzug und Aufbruch – verweigert jede Form von Selbstmitleid. Stattdessen: ein Aufruf zum kollektiven Fall.
Hier geht es nicht um Retrospektive, sondern um das Hier und Jetzt. Es ist ein postpunkiger Realismus, der Bands wie Killing Joke, Magazine oder The Chameleons ins Gedächtnis ruft, aber gefiltert durch Suedes eigenen, hochsensiblen Blick auf eine Gegenwart voller Zersetzung, Überforderung und Verbindungsverlust.
In Songs wie Life Is Endless, Life Is A Moment oder Somewhere Between An Atom And A Star schlägt diese Melancholie in etwas Poetisches um, fast Versöhnliches. Doch gerade wenn man glaubt, die Band würde sich in orchestralen Balladen verlieren, schwenkt sie wieder um, zurück in den Lärm, zurück in den Druck.
Vor allem live kommt dieser ungeheure Druck, den die Band entfalten kann am besten zur Wirkung, hier zeigt sich diese Magie eines eingespielten Kollektivs und die Qualität ihres Frontmanns. Und so bleibt zu hoffen, dass die Band nach der ausgiebigen Tour durch die britische Insel auch zu uns aufs Festland kommt, um ihr Antidepressivum in voller Dröhnung unters Volk zu bringen.
Biografie Suede
Gegründet 1989 in London, gehören Suede neben Blur, Pulp und Oasis zu den einflussreichsten britischen Bands der 1990er Jahre, deren Sound stark von den Bands der 60er und 70er Jahre inspiriert war.
Bereits ihr selbstbetiteltes Debüt wurde 1993 als „Bestes britisches Album“ mit dem Mercury Prize ausgezeichnet, obwohl die Band dem später ausgerufenen Britpop-Hype stets skeptisch gegenüberstand. Sänger Brett Anderson und Gitarrist Bernard Butler galten zunächst als das kreative Zentrum der Band, bis es 1994 zum Bruch kam, was dem Erfolg der Band aber keinen Abbruch tat. Mit neuem Personal veröffentlichten sie ihr erfolgreichstes Album „Coming Up“ mit Evergreens wie „Trash“ und „Beautiful Ones“.
Doch anschließend verkaufte sich jedes Album schlechter und schließlich löste sich die Band 2003 auf, Anderson startete eine mäßig erfolgreiche Solo-Karriere.
2010 folgte die Wiedervereinigung, und seitdem arbeitet die Band kontinuierlich an neuen Alben, die weit über das Niveau bloßer Comebacks hinausgehen. Mit Night Thoughts (2016), The Blue Hour (2018) und zuletzt Autofiction (2022) hat Suede ihre Musik und ihren typischen Sound konsequent weiterentwickelt und jenseits vom nostalgischen Britpop-Revival um Oasis oder Blur ihre eigene Nische gefunden.