Richard Ashcroft, Sänger der Britpop-Band The Verve, ist derzeit wieder in aller Munde. Aber nicht unbedingt aufgrund seiner neuen Songs.
★★☆☆☆
Wenn Richard Ashcroft aktuell als Support-Act der wiedervereinten Oasis auftritt, erleben viele Zuschauer ein Déjà-vu: „Bittersweet Symphony“ gilt für nicht wenige als einer der Höhepunkte des Abends. Für einen Moment scheint die Britpop-Zeit zurück, jene späten 90er, in denen Ashcroft mit The Verve Stadien füllte und sich mit Pathos und Streicher-Samples in die Popgeschichte schrieb. Doch diese Momente sind flüchtig, und sie täuschen darüber hinweg, wie sehr diese Ära inzwischen verblasst ist.
Während Damon Albarn von Blur längst weitergezogen ist und sich zwischenzeitlich gleich mehrfach neu erfunden hat, versuchen es Ashcroft und seine Kumpels von Oasis es gar nicht erst, relevant zu bleiben, so lange die Leute dafür bezahlen, für den Soundtrack ihrer Jugend Eintritt zu bezahlen.
Ashcrofts neues Soloalbum „Lovin’ You“ zeigt genau das. Wo einst Emotionalität und Songwriting-Tiefe lagen, regiert heute eine Art musikalische Selbstparodie. Das Album versucht sich an modernen Produktionsweisen und nostalgischer Balladenkunst zugleich, bleibt dabei aber seltsam orientierungslos und vorhersehbar.
„Lover“, die erste Single, gibt den Ton vor: Ashcroft singt über eine generische 90s-Pop-Produktion, untermalt von einem Joan-Armatrading-Sample, das weit mehr verspricht, als der Song letztlich einlöst. Der Refrain wirkt bemüht eingängig, seine Texte klischeehaft und substanzarm: „I’m like lover, oh-oh, maybe we just birds of a feather.“
Während „Bittersweet Symphony“ noch als hymnischer Abgesang auf die Sinnleere des Alltags durchging, klingt „Lover“ wie eine musikalische Midlife-Crisis mit Streaming-Algorithmus im Hinterkopf. Die Produktion zielt auf ein popaffines Publikum, das sich an oberflächlichen Wiedererkennungswerten orientiert, ein „Update“ der eigenen Handschrift, das weder jung noch wirklich zeitgemäß klingt.
Der Rest des Albums schwankt zwischen verschiedenen Stilen, ohne jemals echten Boden unter die Füße zu bekommen. Da sind die typischen Ashcroft-Balladen, getragen von Streichern, Pathos und dem vertrauten Vibrato, diesmal aber so formelhaft und durchschaubar arrangiert, dass die emotionale Wirkung weitgehend verpufft.
Die ambitionierteren Versuche, den Sound zu modernisieren, geraten dagegen zum Missverständnis. Der Titeltrack „Lovin’ You“ – eine Art upbeat-Hommage an die 90er – kombiniert Gitarrenloops mit einem nervösen Popbeat und greift dabei ausgerechnet auf ein Sample von Mason Williams’ „Classical Gas“ zurück. Das Ergebnis klingt eher nach misslungenem Timbaland-Crossover als nach kreativer Weiterentwicklung.
Wer mit „Urban Hymns“ aufgewachsen ist, wird hier ein paar nostalgische Elemente wiedererkennen, die sich für eine Tour als Vorband von Oasis eignen. Statt sich selbst neu zu erfinden oder den eigenen Legendenstatus zu hinterfragen, wählt Ashcroft den Weg des geringsten Widerstands und liefert ein Album, das vor allem eines ist: bequem.
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