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Studio Ghibli vs. OpenAI: Japanische Kreativbranche wehrt sich gegen KI-Klau

In einem offenen Brief fordert die japanische Organisation CODA (Content Overseas Distribution Association) den US-Konzern OpenAI auf, die Nutzung urheberrechtlich geschützter japanischer Inhalte für das Training von KI-Modellen wie Sora 2 unverzüglich einzustellen.

Die Organisation vertritt unter anderem Studio Ghibli, Bandai Namco und Square Enix – und wirft OpenAI vor, durch massenhafte Reproduktion kreativer Werke ohne Zustimmung gegen das japanische Urheberrecht zu verstoßen.

Die Debatte ist nicht neu, gewinnt aber durch aktuelle Entwicklungen neue Brisanz: Seit dem Start von Sora 2 Ende September 2025 hat sich eine Welle von KI-generierten Inhalten in sozialen Netzwerken ausgebreitet, die auf klar identifizierbare japanische Stilmittel zurückgreifen.

Insbesondere der Stil von Studio Ghibli, international bekannt durch Filme wie Chihiros Reise ins Zauberland oder Mein Nachbar Totoro, wird in zahllosen Porträts und Animationen nachgeahmt ohne jegliche Genehmigung.

Virale Ästhetik ohne Urheber: Der Ghibli-Stil wird durch KI kopiert

Bereits im März 2025 OpenAI damit eine Lawine ausgelöst: Millionen Nutzer erstellten auf Knopfdruck Porträts von sich selbst, die aussehen, als wären sie einer Ghibli-Produktion entsprungen.

Dieses Bild wurde nicht von uns erstellt, sondern auf X veröffentlicht und dient hier nur der Veranschaulichung.

Auch OpenAI-CEO Sam Altman beteiligte sich aktiv an diesem Hype. Sein Profilbild auf X (ehemals Twitter) zeigt ihn seitdem als animierte Figur in genau diesem Stil. Eine vermeintlich harmlose Spielerei, die jedoch weitreichende Fragen aufwirft: über Urheberrechte, künstlerische Integrität und die politischen Implikationen generativer KI.

Denn die Ästhetik, auf die hier zugegriffen wird, ist kein frei verfügbarer Stil im Sinne eines offenen Codes. Sie basiert auf jahrzehntelanger Arbeit, auf der Handschrift konkreter Künstlerinnen und Zeichner, deren Werke in einem bestimmten kulturellen und emotionalen Kontext stehen. Was KI daraus macht, ist kommmerzielle Verwertung ohne die Urheber zu fragen oder zu bezahlen. Das wäre in jedem anderen Kontext verboten. Und das auch völlig zurecht.

Hayao Miyazaki: „Ich bin zutiefst angeekelt“

Kaum jemand hat sich so deutlich gegen den Einsatz von KI im künstlerischen Bereich positioniert wie Hayao Miyazaki, Mitbegründer von Studio Ghibli. In einem mittlerweile wieder viralen Video kritisiert er KI-generierte Animationen als „Beleidigung des Lebens selbst“. Seine Ablehnung ist nicht technikfeindlich, sondern die Grundlage für Kunst und Kultur: Miyazaki betrachtet künstlerischen Ausdruck als zutiefst menschlich, als etwas, das Empathie, Erfahrung und Schmerz voraussetzt. KI könne all das nicht imitieren, sondern nur hohl reproduzieren.

Er habe kein Interesse an Technologien, die Emotionen lediglich simulieren, sagte er: „Wer so etwas macht, weiß nichts über Schmerz.“ Eine klare Absage an automatisierte Bildausgabe, die aus Tausenden Trainingsbildern neue Werke zusammensetzt.

Miyazakis Haltung wird nicht nur in Japan geteilt. Auch Kritiker wie der deutsche Informatiker Jürgen Geuter (@tante) äußern sich deutlich: „Die Verwendung von Ghibli-Stil in OpenAIs Tools ist kein harmloser PR-Stunt, sondern eine Machtdemonstration. Es ist ein Ausdruck kultureller Aneignung und technologischer Arroganz.“

Opt-out reicht nicht: Kritik an OpenAIs Praxis

OpenAI hatte im Oktober angekündigt, die sogenannte Opt-out-Politik für Rechteinhaber zu überarbeiten. Bislang konnten Urheber ihre Inhalte lediglich nachträglich aus dem Trainingsmaterial entfernen lassen, ein Modell, das nach Auffassung vieler Experten die rechtlichen Grundlagen des Urheberrechts unterläuft.

CODA stellt klar: „Im japanischen Urheberrecht gibt es keine Regelung, die eine nachträgliche Ablehnung als Schutz vor Urheberrechtsverletzungen anerkennt.“ Vielmehr sei eine vorherige Zustimmung erforderlich, nicht zuletzt, weil das Training eines Modells bereits eine Vervielfältigung darstelle, also einen rechtlich relevanten Vorgang. Auch in Deutschland ist der Schutz von Urhebern klar geregelt. Zwar gibt es eng gesteckte Ausnahmen für Forschungszwecke, aber diese sind nicht für die neuen kommerziellen KI-Anbieter gemacht, die sich derzeit das gesamte Internet, alle Bücher, Bilder und Filme einverleiben.

Die Organisation fordert OpenAI daher auf, alle Trainingsaktivitäten mit japanischem Kulturgut unverzüglich zu stoppen, nicht nur im Hinblick auf Sora 2, sondern auch rückwirkend für bestehende Modelle. Das betrifft neben der Text-KI ChatGPT auch Bildgeneratoren wie DALL·E oder Sora, die in der Lage sind, komplexe Animationsszenen zu erzeugen.

Der politische Hintergrund: KI und Cyberlibertarismus

Damit geht Japan einen Schritt nach vorne, weitere Länder werden mit ähnlichen Initiativen folgen, denn was hier gerade passiert ist ein Coup, wie die britische Investigativjournalistin Carole Cadwalladr in einem vielbeachteten TED-Talk ausführte.

Die Auseinandersetzung um Ghibli-Bilder und andere japanische Inhalte steht exemplarisch für ein größeres Problem: den ideologischen Rahmen, in dem viele Tech-Unternehmen operieren. Der Politikwissenschaftler David Golumbia beschreibt in seinem Buch Cyberlibertarianism, wie große Teile der Tech-Industrie aus einer politischen Strömung hervorgegangen sind, die demokratische Kontrolle ablehnt und auf völlige Deregulierung setzt.

Begriffe wie „freier Informationsfluss“, „Open Access“ oder „Zensurkritik“ dienen in diesem Kontext oft dazu, Eigentumsrechte auszuhöhlen. So wird argumentiert, dass Wissen und Kultur „allen gehören“ und deshalb auch für KI-Training frei verfügbar sein müssten, eine Haltung, die in der Praxis häufig auf Kosten von Künstlern und Kreativen geht, denen die Existenzgrundlage entzogen wird. Das Urheberrecht ist eine Errungenschaft, die über lange Zeit mühsam erkämpft wurde, jetzt wird es wieder in Frage gestellt.

Im aktuellen Fall ist dieser Konflikt besonders deutlich: Eine weltweit aktive Plattform wie OpenAI nutzt Werke, die in einem spezifischen kulturellen Kontext entstanden sind, verarbeitet sie algorithmisch und stellt sie global zur Verfügung, meist ohne Hinweis auf die Quelle, geschweige denn Vergütung oder Zustimmung.

Kunst ist kein Rohstoff

Die Diskussion über KI und Kreativität wird oft unter dem Schlagwort „Innovation“ geführt. Doch das ist nur ein Teil der Wahrheit. Denn was aktuell geschieht, ist keine bloße technologische Neuerung, sondern ein Paradigmenwechsel: weg von individueller Autorschaft, hin zu massenhafter automatisierter Reproduktion. Kunst wird dabei wie ein Rohstoff behandelt, den man nach Belieben extrahieren und neu kombinieren kann, ähnlich wie Daten, Öl oder seltene Erden.

Doch kreative Arbeit ist kein Rohstoff. Sie ist Ausdruck von Lebenserfahrung, von politischen Haltungen, von kulturellem Gedächtnis. Wer sie zur bloßen Vorlage für Maschinen macht, entzieht ihr ihren Sinn und versteht nicht, woher das alles kommt.

CODA bringt das in seinem Schreiben an OpenAI auf den Punkt: „Die Verwendung geschützter Werke ohne Zustimmung untergräbt nicht nur Rechte, sondern auch die Grundlagen der kreativen Arbeit.“

Internationale Folgen möglich

Dass sich ausgerechnet Japan – ein Land, das wie kaum ein anderes für die Verbindung von Tradition und Technik steht – so klar gegen OpenAI positioniert, könnte auch andere Nationen motivieren, strengere Regulierungen einzuführen. Erste ähnliche Initiativen gibt es bereits in Südkorea, Frankreich und Kanada. Die Diskussion über KI-Training auf Basis urheberrechtlich geschützter Inhalte ist damit nicht nur ein japanisches Thema, sondern ein globales und sie wird zweifellos lauter werden.

Ob und wie OpenAI auf die Forderungen von CODA reagiert, bleibt abzuwarten. Klar ist jedoch: Der Fall Ghibli vs. OpenAI wird zum Prüfstein für den künftigen Umgang mit geistigem Eigentum in der KI-Ära. Und er zeigt, dass der Widerstand gegen die Vereinnahmung kreativer Arbeit durch maschinelles Lernen nicht nur juristisch, sondern auch kulturell und politisch geführt werden muss.


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