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Car Seat Headrest – The Scholars (Album 2025)

Mit The Scholars meldet sich Car Seat Headrest nach fünf Jahren zurück – und liefert das ambitionierteste Werk ihrer Karriere. Statt einzelner Songs präsentiert die Band um Will Toledo ein fiktives Konzeptalbum.

Acht Songs erzählen die Geschichte verschiedener Figuren aus der fiktiven Parnassus University und verhandeln Themen wie Schmerz, Krankheit, Identität und Erlösung.

Musikalisch ist The Scholars eine Rückbesinnung auf das Erzählerische – aber nicht auf das Minimalistische. Die Produktion ist opulent, oft überladen, bewusst überdreht. Toledo arbeitet wieder mit seiner festen Band: Gitarrist Ethan Ives, Drummer Andrew Katz und Bassist Seth Dalby. Gemeinsam entfesseln sie einen Sound, der sich irgendwo zwischen Classic Rock, Prog, Indie und Glam bewegt.

Der Opener „CCF (I’m Gonna Stay With You)“ beginnt mit einem rhythmischen Latin-Groove, der an Remain In Light erinnert. Es folgen verschachtelte Songstrukturen, eingestreute Spoken-Word-Passagen, Choräle und Breakdowns. Toledo beweist erneut, dass er Pop-Hooks schreiben kann, selbst wenn sie tief in elfminütigen Suiten versteckt sind.

„Gethsemane“ etwa erzählt die Geschichte der Medizinstudentin Rosa, die den Schmerz ihrer Patienten körperlich mitempfindet – eine Metapher für Empathie und Erschöpfung. Der Song changiert zwischen Neu!-artigen Elektronikflächen, explosiven Gitarren und Who-inspirierten Drums. Die zentrale Zeile „You can love again if you try again“ wirkt wie ein Mantra gegen Resignation.

Der zugänglichste Track des Albums ist „The Catastrophe (Good Luck With That, Man)“. Hier entwirft Toledo ein Bild der Band als „clown troubadours“, unterwegs durch eine ausgebrannte amerikanische Landschaft. Die Zeile „Kids who don’t know why they bleed / They are bones dry bones in American towns“ bringt diese Tour als Endzeitreise auf den Punkt. Musikalisch wird das Ganze von einem T. Rex-Groove getragen, angereichert mit Zitaten aus Doo-Wop („Rama Lama Ding Dong“) und R.E.M.-artigen Harmonien.

Toledo, der in den letzten Jahren mit Long Covid zu kämpfen hatte, zieht sich in diesem Album stärker denn je aus dem autobiografischen Erzählen zurück. Stattdessen überlässt er fiktiven Charakteren das Wort. Ein mutiger Schritt, der das Album zugleich kryptisch und faszinierend macht. Wer mit früheren Alben wie Twin Fantasy oder Teens of Denial sozialisiert wurde, wird hier vieles wiedererkennen, aber auch neue Türen finden.

The Scholars ist ein vielschichtiges Werk, auf den ersten Blick vielleicht etwas sperrig, dafür reich an Ideen, Energie und Pathos. Ein Album, das mehr von seinen Hörern fordert, aber sie dann reich belohnt.

Biografie Car Seat Headrest

Car Seat Headrest ist das Musikprojekt des US-amerikanischen Songwriters Will Toledo (Jahrgang 1992). Gegründet Anfang der 2010er-Jahre als Ein-Mann-Projekt in Leesburg, Virginia, hat sich die Band über die Jahre von einem Geheimtipp auf Bandcamp zu einem der zentralen Namen des zeitgenössischen Indie-Rock entwickelt. Im Zentrum steht bis heute Toledo – ein Songwriter mit ausgeprägtem Faible für literarische Bezüge, lange Songstrukturen und existenzielle Selbstbefragung.

Der Anfang: Lo-Fi in der Fahrerkabine

Will Toledo begann 2010 unter dem Namen Car Seat Headrest Musik zu veröffentlichen – der Name stammt von dem Ort, an dem die ersten Aufnahmen entstanden: dem Rücksitz seines Autos, wo er ungestört aufnehmen konnte. Zwischen 2010 und 2014 veröffentlichte Toledo auf Bandcamp mehr als zehn Alben, darunter My Back Is Killing Me Baby (2011), Twin Fantasy (2011) und Nervous Young Man (2013).

Sein Stil war früh erkennbar: introspektive, oft überlange Songs, durchzogen von literarischen und popkulturellen Anspielungen, aufgenommen mit einfachstem Equipment. Die Tracks waren roh, emotional offen und erzählerisch ambitioniert. Besonders Twin Fantasy entwickelte sich über die Jahre zum Kultalbum – ein loses Konzeptwerk über Liebe, Obsession und Selbstverlust, das 2018 in einer aufwendig produzierten Neuaufnahme erneut veröffentlicht wurde.

Der Durchbruch mit Matador Records

2015 wurde das Indie-Label Matador Records auf Toledo aufmerksam und nahm ihn unter Vertrag. Damit begann eine neue Phase in der Bandgeschichte: Aus dem Soloprojekt wurde eine feste Band mit Ethan Ives (Gitarre), Andrew Katz (Schlagzeug) und Seth Dalby (Bass).

2016 erschien Teens of Denial, das erste Studioalbum mit neuem Material unter professionellen Bedingungen. Mit Songs wie „Drunk Drivers/Killer Whales“ oder „Fill In The Blank“ schaffte Car Seat Headrest den Sprung aus der DIY-Nische in die Welt großer Indie-Festivals, Radiosessions und Late-Night-Auftritte. Die Mischung aus Coming-of-Age-Themen, ironischer Selbstreflexion und klassischem Gitarrenrock traf den Nerv einer Generation.

Ein Jahr später folgte die erwähnte Neuaufnahme von Twin Fantasy, die das ursprüngliche Album mit voller Bandbesetzung und klarerem Sound neu interpretierte – ein rares Beispiel für ein Album, das als Entwurf begann und Jahre später zur vollendeten Vision wurde.

Experimente, Masken und Identitätsfragen

2020 erschien Making A Door Less Open – ein radikaler Bruch mit der bisherigen Diskografie. Statt epischer Albumkonzepte präsentierte Toledo ein stilistisch offenes Werk mit elektronischen Elementen, Shuffle-kompatiblen Tracks und gleich drei unterschiedlichen Tracklists für Vinyl, CD und Streaming.

Toledo trat zur Albumveröffentlichung mit einer Gasmaske auf – als Alter Ego „Trait“, benannt nach dem EDM-Nebenprojekt 1 Trait Danger, das er mit Drummer Andrew Katz betreibt. Die Reaktionen auf MADLO fielen gemischt aus: Einige lobten die stilistische Offenheit, andere vermissten die erzählerische Tiefe und Kohärenz früherer Werke.

Trotzdem enthält das Album einige herausragende Songs, etwa das melancholische „There Must Be More Than Blood“ oder den eleganten Pop von „Life Worth Missing“. In der Rückschau wirkt MADLO wie ein notwendiger Umweg – eine kreative Kurskorrektur, die den Weg für Neues ebnete.

Krankheit, Stille und The Scholars

Nach der MADLO-Ära wurde es ruhig um Car Seat Headrest. Toledo zog sich aus der Öffentlichkeit zurück – gesundheitliche Probleme durch Long Covid führten zu einem radikalen Lebenswandel. Tourneen mussten abgesagt werden, Interviews blieben aus.

In dieser Zeit entstand The Scholars (2025), das ambitionierteste Werk der Band: ein fiktives Rock-Opern-Album über eine Universität und ihre bizarren Bewohner, erzählt durch verschiedene Stimmen, musikalisch angelehnt an die Tradition von Tommy, The Wall oder The Hazards of Love. Toledo tritt hier erstmals vollständig hinter seine Figuren zurück. Das Album ist komplex, verspielt, fordernd – aber auch ein Höhepunkt in Toledos Schaffen.


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