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Nine Inch Nails und TRON: Ares – Soundtrack zwischen Dystopie und Katharsis

Nach fast fünf Jahren veröffentlichen Nine Inch Nails erstmals wieder neue Musik. Mit „As Alive As You Need Me To Be“ erscheint die erste Single aus dem Soundtrack zu TRON: Ares, dem dritten Teil der Sci-Fi-Reihe, der im Oktober 2025 in die Kinos kommt.

Die Musik stammt vollständig von Trent Reznor und Atticus Ross, jedoch nicht unter ihrem bekannten Namen als vielfach preisgekröntes Filmmusik-Duo, sondern diesmal ganz offiziell als Nine Inch Nails.

Der Song „As Alive As You Need Me To Be“ ist mehr als ein klassischer Soundtrack-Track. Statt orchestraler Kulisse oder ambienter Untermalung liefert die Band einen düster-melodischen Industrial-Track, der tief in das Repertoire der späten Nine Inch Nails greift.

TRON ist seit jeher ein visuelles wie akustisches Projekt. Schon der Vorgänger TRON: Legacy (2010) war stark geprägt durch die Musik von Daft Punk, deren Soundtrack einen eigenen Klassikerstatus erreicht hat. Nun übernimmt eine Band, die das Genre „Industrial Rock“ mitgeprägt hat, das Steuer. Und sie nutzt die Gelegenheit, um TRON musikalisch neu zu definieren: rauer und düsterer.

Eine Band als Score-Maschine

Der komplette Soundtrack zu TRON: Ares erscheint am 19. September 2025 bei Interscope Records. Er umfasst 24 Tracks und trägt stilistisch klar die Handschrift von Nine Inch Nails, die hier als vollwertige Band agieren, nicht nur als unsichtbare Komponisten. Das ist insofern bemerkenswert, als Reznor und Ross sich in den letzten Jahren primär mit Filmmusik einen Namen gemacht haben, unter anderem mit den Soundtracks zu The Social Network, Gone Girl, Watchmen oder zuletzt Bones and All.

Die Auszeichnung mit einem Oscar, mehreren Grammys und Emmys hat das Duo längst als feste Größe im Bereich der Filmkomposition etabliert. Doch TRON: Ares ist ihr erstes Projekt, bei dem bewusst die Grenze zur Popkultur wieder überschritten wird. Reznor und Ross agieren hier als Musiker, nicht als Dienstleister der Bilder. Sie schreiben keinen Score, sie liefern ein Album und damit ein Statement.

Rückkehr auf die Bühne

Der Release fällt nicht zufällig in die Zeit nach der Peel It Back Tour, mit der die Band Anfang 2025 durch Europa getourt ist. Nach pandemiebedingter Bühnenabstinenz und mehreren Score-Projekten wirkte diese Tour wie ein Katalysator, um Nine Inch Nails als Liveband neu zu justieren. Der Fokus lag dort bereits auf reduzierteren, elektronischeren Sets, angereichert mit visuellen Elementen und längeren instrumentalen Passagen – möglicherweise eine Vorbereitung auf das, was nun mit TRON: Ares manifest wird.


Nine Inch Nails Biografie

Nine Inch Nails ist das Lebenswerk von Trent Reznor. Seit Ende der 1980er-Jahre erschafft der Musiker unter diesem Namen eine unverkennbare Klangwelt zwischen Industrial, Alternative, Elektronik und Noise. Was als Solo-Projekt begann, wurde zur Band, zum Live-Phänomen, zum Soundtrack für eine ganze Generation und schließlich zur Brücke in die Welt des Kinos.

NIN (Pressefoto: John Crawford)

Pretty Hate Machine (1989)

Mit dem Debüt Pretty Hate Machine legt Reznor 1989 den Grundstein für seinen Stil. Die Songs verbinden Synthesizer und Drumcomputer mit Rock-Elementen und persönlichen Texten. Head Like A Hole und Terrible Lie bringen einen elektronischen Sound in die damalige Rocklandschaft, der sowohl tanzbar als auch aggressiv wirkt. Reznor schreibt, produziert und spielt das Album fast vollständig allein ein. Entstanden ist es in Nachtstunden zwischen Studiojobs in Cleveland. Es entwickelt sich über die Jahre zu einem der erfolgreichsten Independent-Releases der US-Musikgeschichte und macht Nine Inch Nails zu einer Stimme der Gegenwart.

Broken (1992)

Mit der EP Broken schlägt Reznor drei Jahre später eine deutlich härtere Richtung ein. Die elektronischen Anteile treten in den Hintergrund, dafür dominieren verzerrte Gitarren, rohe Beats und eine unversöhnliche Grundstimmung. Hintergrund ist ein Streit mit dem Label TVT Records, das ihn in eine kommerziellere Richtung drängen will. Reznor wechselt zu Interscope, gründet sein Sublabel Nothing Records und liefert mit Broken einen kompakten, wütenden Befreiungsschlag. Die Songs wirken wie Explosionen, begleitet von einem radikalen Kurzfilm, der die visuelle Sprache von NIN entscheidend prägt.

The Downward Spiral (1994)

Zwei Jahre später folgt mit The Downward Spiral ein Album, das Reznor in den Olymp der Popkultur katapultiert. Die Musik ist komplexer, vielschichtiger und experimenteller als zuvor. Inhaltlich dreht sich alles um eine Figur, die sich zunehmend von der Welt entfremdet und in den eigenen Abgrund stürzt. Closer, March of the Pigs und Hurt werden zu Meilensteinen, das Album zu einem Referenzwerk für Industrial Rock. Reznor mietet für die Aufnahmen das Haus in Los Angeles, in dem einst Sharon Tate ermordet wurde. Es wird zum Symbol für die morbide Atmosphäre, die das gesamte Album durchzieht. Die Tour gerät zum Exzess, auf und neben der Bühne.

The Fragile (1999)

Nach einer kreativen und persönlichen Auszeit kehrt Reznor 1999 mit dem Doppelalbum The Fragile zurück. Es ist sein bislang ambitioniertestes Werk. Statt kompakten Songs stehen hier ausufernde Soundlandschaften im Mittelpunkt. Der Sound bewegt sich zwischen Ambient, klassischer Komposition und Industrial-Strukturen. The Fragile ist ein Album über Kontrollverlust, Einsamkeit und Selbstauflösung. Die Reaktionen sind gemischt, der kommerzielle Erfolg bleibt hinter den Erwartungen zurück. Mit der Zeit entwickelt sich die Platte jedoch zu einem Kultobjekt. Rückblickend gilt sie als eines der komplexesten und mutigsten Werke der Bandgeschichte.

With Teeth (2005)

Reznor zieht sich zurück, begibt sich in Therapie und kämpft sich aus der Sucht. With Teeth ist das erste Album nach seiner Genesung. Die Songs sind strukturierter, direkter, teilweise fast radiotauglich. Mit The Hand That Feeds und Only entstehen Songs, die sowohl im Alternative-Radio als auch auf großen Festivalbühnen funktionieren. Die Produktion ist deutlich klarer, der Sound fokussierter. Es ist das Werk eines Musikers, der sich seiner Mittel wieder bewusst wird und gleichzeitig mit den Spätfolgen der eigenen Dämonen ringt.

Year Zero (2007)

2007 erscheint mit Year Zero ein Konzeptalbum, das Nine Inch Nails in ein dystopisches Szenario versetzt. Die Musik ist aggressiv, digital und bewusst künstlich gehalten. Die Texte beschreiben eine nahe Zukunft, in der Religion, Staat und Technologie zu einem totalitären System verschmelzen. Reznor begleitet das Album mit einem umfangreichen Online-Projekt, versteckten Botschaften und einer transmedialen Erzählstruktur. Es ist ein politisches Werk, inspiriert von den Entwicklungen der US-Politik, aber auch ein Versuch, Musik als interaktive Erfahrung neu zu denken.

Ghosts I–IV (2008)

Mit Ghosts I–IV verlässt Reznor das klassische Songformat. Die rein instrumentale Veröffentlichung umfasst 36 Tracks und ist geprägt von minimalistischen Strukturen, Field Recordings und atmosphärischen Klangflächen. Die Musik wirkt introspektiv, teilweise meditativ, bleibt dabei aber immer uneindeutig. Veröffentlicht wird das Album ohne Label, frei zugänglich und in verschiedenen Editionen. Es ist ein Signal an die Branche, aber auch an die Fans: Musik kann frei, offen und experimentell sein – jenseits von Formaten und Erwartungen.

The Slip (2008)

Nur wenige Monate nach Ghosts erscheint The Slip, ebenfalls digital, kostenlos und direkt veröffentlicht. Die Songs sind kompakter, lauter und wieder näher am klassischen NIN-Sound. Discipline und 1,000,000 setzen auf Drive und Energie. Es wirkt wie ein Schnellschuss, doch genau darin liegt seine Stärke. Reznor nutzt die Freiheit, die ihm seine Unabhängigkeit bietet, und präsentiert Nine Inch Nails als kreative Einheit mit neuer Dynamik. Das Album erscheint später auch in limitierter physischer Form, bleibt aber vor allem als digitales Statement in Erinnerung.

Hesitation Marks (2013)

Nach einer längeren Pause kehrt Reznor 2013 mit Hesitation Marks zurück. Das Album ist weniger düster, aber nicht weniger komplex. Es spiegelt einen Künstler, der älter geworden ist, reflektierter und kontrollierter. Die Songs setzen auf Rhythmus, auf minimalistische Grooves, auf reduzierte Arrangements. Came Back Haunted und Copy of A zeigen, wie NIN 20 Jahre nach dem Durchbruch klingen kann, ohne sich zu wiederholen. Das Album wird begleitet von einer aufwendigen Tour mit hohem visuellen Anspruch. Es ist das Comeback einer Band, die nie wirklich verschwunden war.

Bad Witch (2018)

Mit Bad Witch schließt Reznor eine EP-Trilogie ab, die zwischen 2016 und 2018 erscheint. Die sechs Tracks setzen auf Dissonanzen, auf Jazz-Elemente, auf Unruhe. God Break Down The Door wirkt wie eine Hommage an Bowies Blackstar, aber in der Sprache von NIN. Das Album ist kurz, fragmentarisch und fordert Aufmerksamkeit.

Nine Inch Nails im Film und jenseits der Bühne

Parallel zur Bandkarriere arbeiten Reznor und Ross seit 2010 als Komponisten für Film und Fernsehen. Mit dem Soundtrack zu The Social Network beginnt eine neue Phase, die ihnen zahlreiche Auszeichnungen einbringt. Es folgen Arbeiten für Gone Girl, Watchmen, Soul, The Girl With The Dragon Tattoo, Challenegers und viele andere.

Mit TRON: Ares kehren sie 2025 offiziell unter dem Namen Nine Inch Nails zum Soundtrack-Format zurück. Ein Schritt, der die Grenzen zwischen Bandprojekt und Score endgültig auflöst.

Trent Reznor als kulturelle Stimme

Reznor bleibt auch jenseits der Musik präsent. In Interviews und öffentlichen Statements bezieht er regelmäßig Stellung zu gesellschaftlichen Themen. Er äußert sich kritisch zur Musikindustrie, zum Zustand der US-Politik, zur Rolle von Technologie und zur Macht der Algorithmen. Sein Interesse gilt immer wieder der Frage, wie Kunst in digitalen Zeiten bestehen kann, ohne sich komplett vereinnahmen zu lassen.

Gleichzeitig arbeitet Reznor seit Mitte der 2010er-Jahre außer mit Hollywood eng mit Apple zusammen, unter anderem als Berater bei der Entwicklung von Apple Music und dessen Benutzeroberfläche. Auch Tourneen von Nine Inch Nails werden regelmäßig von Live Nation organisiert, einem der größten Veranstaltungsunternehmen der Branche. Beide Firmen gehören zu den zentralen Akteuren im digitalen Musik- und Konzertgeschäft, also genau jenem System, das Reznor öffentlich immer wieder in Frage stellt.

Diskografie Nine Inch Nails

Studioalben:

Pretty Hate Machine (1989)

The Downward Spiral (1994)

The Fragile (1999)

With Teeth (2005)

Year Zero (2007)

Ghosts I–IV (2008)

The Slip (2008)

Hesitation Marks (2013)

Bad Witch (2018)

TRON: Ares (Original Motion Picture Soundtrack) (2025, angekündigt)

Ausgewählte EPs:
Broken (1992)
Not the Actual Events (2016)
Add Violence (2017)

Soundtracks
The Social Network (2010)
The Girl with the Dragon Tattoo (2011)
Gone Girl (2014)
The Vietnam War (2017)
Bird Box (2018)
Watchmen (Music from the HBO Series)
Waves (2019)
Mank (2020)
Soul (2020)
Empire of Light (2022)
Bones and All (2022)
Challengers (2024)
TRON: Ares (2025, mit Nine Inch Nails)


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