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Wacken 2025: Wenn Festivals zum Investment werden

Musikfestivals werden zunehmend zu einem lukrativen Geschäftsbereich von global agierenden Multi-Konzernen und Investoren. Das legendäre Wacken Open Air steht dabei beispielhaft für diese Entwicklung.

Wacken als Indikator: Vom Fan-Treffen zum Finanz-Asset

Das Wacken Open Air, das sich über Jahrzehnte von einem familiären Zusammentreffen von Metalheads in der norddeutschen Provinz zu einem globalen Phänomen entwickelt hat, ist in jüngster Zeit Teil eines Großkonzerns geworden, dem auch Axel Springer gehört.

Im Juni 2024 wurde bekannt, dass die US-amerikanische Beteiligungsgesellschaft KKR (Kohlberg Kravis Roberts & Co.) Beteiligungen an rund 80 Festivals in Europa und Australien erworben, darunter auch die deutschen Festivals Wacken und Parookaville. Diese Transaktion, deren Wert die „Financial Times“ auf rund 1,3 Milliarden Euro bezifferte, erhielt im September 2024 die Genehmigung der EU-Kartellbehörde.

KKR steht in der Kritik, weil sie massiv in fossile Energie investiert und deshalb möglicherweise nach amerikanischem Vorbild Einfluss auf die Medien der Springer-Gruppe ausüben könnte, deren aggressive Negativ-Kampagne gegen die grüne Wirtschafts- und Umweltpolitik der Ampel-Regierung maßgeblich zu Neuwahlen beigetragen hat. KKR selbst begründete die Akquisition der Festivals mit der erheblich gestiegenen Nachfrage nach Live-Events in den letzten zehn Jahren und der Erwartung weiteren Wachstums.

Für die Gründer des Wacken Open Air, Thomas Jensen und Holger Hübner, bedeutete dies zwar keine direkte Abgabe ihrer operativen Kontrolle, die strategische Ausrichtung und langfristige Planung sind nun jedoch in einem größeren, finanzgetriebenen Kontext angesiedelt. Die Partnerschaft mit MDM, einem Münzhändler, für spezielle Wacken Collectors Coins, zeigt beispielhaft die verstärkte Ausrichtung auf Merchandising und Markenwert jenseits des reinen Musikerlebnisses. Metal-Fans gelten als besonders treu und sind auch als kaufkräftige Zielgruppe interessant.

Die globalen Giganten: Live Nation und AEG

Die Entwicklung in Wacken ist kein Einzelfall, sondern fügt sich in ein globales Bild ein, in dem immer weniger, immer größere Unternehmen den Festivalmarkt dominieren. Zwei weitere prominente Akteure in diesem Bereich sind Live Nation Entertainment und AEG Presents.

Live Nation Entertainment ist nicht nur der weltweit größte Konzertveranstalter, sondern auch der größte Ticketing-Anbieter, zu dem Ticketmaster gehört, sowie ein bedeutender Akteur im Festivalgeschäft. Das Portfolio von Live Nation ist riesig und wächst stetig, getragen von einer aggressiven Expansionsstrategie durch gezielte Akquisitionen weltweit.

Zu den bekannten Festivals, die Live Nation ganz oder teilweise besitzt oder veranstaltet, gehören unter anderem das Lollapalooza, das sich unter der Ägide von Live Nation zu einem globalen Phänomen mit Ablegern in Chicago, Berlin, Paris, Buenos Aires, Santiago, São Paulo und Mumbai entwickelt hat.

Neben dem Lollapalooza Berlin und dem Superbloom in München gehörten zwischenzeitlich auch die Zwillingsfestivals Rock am Ring und Rock im Park dem Live-Entertainment-Giganten. Seit der Übernahme sind die Line-Ups der Festivals spürbar mainstreamiger geworden und sollen offensichtlich auch Fans anziehen, für die es auf einem Festival nicht in erster Linie um die Musik geht.

Ganz nach dem Vorbild von Coachella, das dem anderen Live-Entertainment-Giganten, der AEG (Anschutz Entertainment Group), gehört. Diese wurde vom US-Milliardär Philip F. Anschutz gegründet, der als Großspender der republikanischen Partei und der umstrittenen Heritage Foundation gilt, die gerade die Demokratie in den USA abschafft.

Sein Immobilien-Imperium baut weltweit auch die großen Arenen, in denen die ganz großen Sport- und Musikevents stattfinden, unter anderem auch die Arena in Berlin, für die gleich mehrere Berliner Clubs abgerissen werden mussten. Das ganze Areal gleicht heute einer hässlichen Shopping Mall mit angeschlossener Fressmeile und ist ein weiteres Beispiel dafür was passiert, wenn Heuschrecken eine Stadt kaufen.

Deutsche Schwergewichte: FKP Scorpio und CTS Eventim

Auch im deutschen Markt sind solche Entwicklungen zu beobachten. FKP Scorpio, einer der größten deutschen Festival- und Konzertpromoter, bekannt für Festivals wie das Hurricane und Southside Festival, ist seit 2017 mehrheitlich im Besitz von CTS Eventim. CTS Eventim ist nicht nur ein führender Ticketing-Anbieter in Europa, sondern auch ein bedeutender Konzertveranstalter. Die 50,2-prozentige Beteiligung von CTS Eventim an FKP Scorpio zeigt, wie Ticketing-Giganten direkt in die Festivalproduktion einsteigen, um die Kontrolle über die gesamte Wertschöpfungskette des Live-Musikgeschäfts zu erlangen und die Preise diktieren.

Mit anderen Worten: es geht nur noch ums Geld.

Die Auswirkungen auf die Festivalszene

Die Übernahme von Festivals durch Großinvestoren und die Umwandlung in Mega-Events haben weitreichende Auswirkungen, die über die reinen Eigentumsverhältnisse hinausgehen.

Wenn Festivals Teil großer Portfolios werden, besteht die Gefahr, dass sie ihre einzigartige Identität verlieren und sich ähnlicher werden. Die Line-ups ähneln sich, die kulinarischen Angebote werden vereinheitlicht, und das „lokale Flair“, das viele kleinere Festivals auszeichnete, geht verloren. Der Fokus verschiebt sich oft von der künstlerischen Vision hin zur Maximierung des Umsatzes pro Besucher. Dies äußert sich in höheren Ticketpreisen, teurerem Catering und einer verstärkten Präsenz von Sponsoren und Marken, wie es beim Lollapalooza in Berlin zu beobachten ist, einem vollkommen seelenlosen „Musik-Event“ mit einem zusammengewürfelten Line-Up nach dem Motto: für jeden etwas dabei.

Finanzinvestoren sind in erster Linie an Rendite interessiert. Dies kann dazu führen, dass die künstlerische Kuratierung des Line-ups zugunsten von kommerziell erfolgreichen Acts in den Hintergrund tritt. Experimentelle oder Nischengenres erhalten weniger Raum, wenn sie nicht das Potenzial für große Besucherzahlen versprechen. Während man früher ganz zufällig neue talentierte Künstler auf den kleinen Festivalbühnen entdecken konnte, lange bevor sie bekannt wurden, werden diese Bühnen heute überwiegend von Influencern bespielt, die durch TikTok oder Instagram ein bisschen Bekanntheit erlangt haben und deren Wert in Klickzahlen und Streams bemessen wird. Viele unserer Lieblingskünstler hätten wir nach dieser Logik nie entdecken können. Die Musikbranche verliert zunehmend das, was sie ausgemacht hat: die innovative Kraft der Musik.

Die Konzentration des Festivalmarktes in den Händen weniger großer Akteure birgt das Risiko der Monopolbildung. Dies kann den Wettbewerb einschränken und kleinere, unabhängige Veranstalter benachteiligen. Es wird schwieriger für neue Festivals, sich zu etablieren, wenn sie gegen die massive Marketing- und Einkaufskraft der großen Player antreten müssen. Die laufende Untersuchung von Live Nation durch Gesetzgeber bezüglich ihrer Marktdominanz, insbesondere im Ticketing-Bereich, verdeutlicht diese Bedenken.

Kein kleineres Indie-Festival kann sich heute noch einigermaßen bekannte Bands leisten. Leuchtendes Beispiel dieser Entwicklung ist das Melt! Festival, einst das Lieblingsfestival vieler Berliner Clubgänger, das im vergangenen Jahr eingestellt wurde. Die Hauptbühnen, die früher von Künstlern wie Wir sind Helden, Björk, Kylie Minogue, Portishead oder Florence + The Machine bespielt wurden, blieben bei der letzten Ausgabe leer. Stattdessen gab es (fast) nur noch DJ-Sets, für die sich die drei Stunden Anfahrt nach Dessau schlicht nicht mehr lohnt.

Das Melt! Festival musste 2024 wegen gestiegener Kosten aufgeben (Foto: Stephan Flad/Good Live)

Der Einfluss der Investoren auf die Preisgestaltung: Warum Tickets teurer werden

Die weltweit wachsende Nachfrage nach Live-Entertainment wie Sport und Musik, gepaart mit dem Wettbewerb um Top-Acts, hat zu einem enormen Anstieg der Künstlergagen geführt. Große Konzerne wie Live Nation oder Superstruct haben die finanziellen Mittel, die teuersten und populärsten Bands – Achtung, schlimmes Wort: exklusiv – zu buchen, uns sich einen Preiskampf zu liefern. Diese Kosten werden direkt an die Verbraucher weitergegeben. Auch die Produktionskosten für Bühnentechnik, Sound, Licht und Video, sowie Personal, Sicherheit und Logistik sind in den letzten Jahren erheblich gestiegen, nicht zuletzt durch Inflation und erhöhte Anforderungen an die Event-Infrastruktur.

Investoren streben naturgemäß immer eine höhere Rendite an. Sie investieren in immer aufwendigere, massentaugliche Produktionen und zusätzliche „Erlebniswelten“, wie Kunstinstallationen, Food Courts oder VIP-Bereiche, damit immer mehr Menschen immer mehr Geld ausgeben. Die gestiegenen Lebenshaltungskosten, etwa durch Inflation und erhöhte Energiepreise, führen dazu, dass die Besucher ihre Ausgaben für Freizeitaktivitäten stärker hinterfragen. Und viele Fans, die die Preisentwicklung in den letzten Jahren mitbekommen haben, sind schlicht nicht mehr bereit, so viel Geld dafür auszugeben oder sparen dann bei anderen Ausgaben wie Konzerttickets oder kleineren Festivals.

Alternative Festival-Formate: Künstler als Veranstalter

Vieles deutet darauf hin, dass der Schlüssel für die Misere bei den Künstlern selbst liegen könnte. Mit dem Bludfest hat der britische Musiker Yungblud 2023 ein eigenes Festivalformat ins Leben gerufen, das seine Vision von Musik, Community und Subkultur auf eine neue Ebene heben soll. Er sei es leid, dass Fans nicht auf Festivals gehen können, weil sie es nicht leisten können. Deshalb konzipierte er ein eigenes Festival mit dem Ziel, nicht mehr als 50 Pfund Eintritt zu nehmen und die Musik und das Gemeinschaftsgefühl wieder in den Vordergrund zu stellen.

Harrison wollte einen Ort schaffen, an dem seine Fans nicht nur ein Konzert erleben, sondern Teil einer Community werden können. Das Konzept: Ein eintägiges Festival, das komplett von Yungblud kuratiert wird, mit einem kompakten Line-up aus Acts, die seine künstlerische Haltung und Energie teilen. Statt Sponsorenzelten gibt es Räume für Begegnungen für alle, die alleine kommen und Anschluss finden möchten, denn auch dieser wichtige soziale Aspekt von Festivals ist auf den durchkommerzialisierten Großevents kein Thema mehr: jeder bleibt für sich.

Dieses Konzept greift die alte Woodstock-Idee wieder auf: Ein temporärer, utopischer Ort, an dem Musik und Realitätsflucht im Vordergrund stehen, statt die ökonomische Maximierung von Reichweite und Ticketumsatz.

Die Chemnitzer Band Kraftklub hat bereits 2017 ein eigenes Festival, das Kosmonaut Festival, ins Leben gerufen, das am Stausee Rabenstein bei Chemnitz stattfand. Ursprünglich war es ein zweitägiges Festival, das sich stark an der Indie- und Alternative-Szene orientierte und sich schnell einen Namen als familiäres, aber professionell organisiertes Event machte.

Die Idee hinter dem Kosmonaut Festival war ähnlich wie bei Yungbluds Bludfest: ein künstlerisch kuratiertes Festival, das die Werte und den musikalischen Geschmack der Band widerspiegelt und gleichzeitig als Startrampe für neue Acts dient. Neben Indie- und Rockbands standen auch Hip-Hop- und Elektro-Acts auf dem Programm. Ein besonderes Markenzeichen war der geheime Headliner, dessen Identität bis zum Auftritt nicht verraten wurde, damit die Leute nicht nur wegen des Headliners anreisen.

Nach seiner Gründung wuchs das Festival schnell und zog Besucher aus ganz Deutschland an. 2019 fand die letzte Ausgabe statt, unter anderem mit Auftritten von K.I.Z, AnnenMayKantereit und Trettmann. Dann folgte die coronabedingte Zwangspause. 2022 verkündete die Band offiziell, dass das Kosmonaut Festival nicht zurückkehren werde. Stattdessen wollte sich die Band wieder auf ihre eigene Musik konzentrieren.

Trotzdem zeigen diese neuen Formate, dass das Festival der Zukunft nicht zwangsläufig in der Hand von internationalen Investoren liegen muss, sondern dass es weiterhin die Möglichkeit gibt, etwas eigenes zu starten.

Foto: Saltatio Mortis (WOA Festival GmbH)


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