Paul Thomas Anderson verfilmt Pynchons Roman “Vineland” als düsteres Actiondrama über Revolution, Familienkrisen und den permanenten Ausnahmezustand im heutigen Amerika mit Leonardo DiCaprio in der Hauptrolle.
Nach Inherent Vice (2014) wagt sich der Regisseur an einen weiteren Roman von Thomas Pynchon (88), lässt sich dabei aber deutlich mehr Freiheiten als beim Vorgänger. Entstanden ist ein überdrehtes, bisweilen irritierendes Actiondrama, das Pynchons paranoide Gesellschaftsanalyse ins heutige Amerika überträgt.
Der Film ist weniger eine klassische Adaption als eine freie Weiterführung der Pynchon’schen Motive. Wo der Roman aus dem Jahr 1990 die Enttäuschung der Gegenkultur über den Rechtsruck der Reagan-Ära verhandelt, verlegt Anderson die Handlung in eine unbestimmte Gegenwart, die der aktuellen Stimmung in den USA sehr ähnlich ist. Statt klarer politischer Statements gibt es Hinweise, Andeutungen und eine Atmosphäre, die von Angst, Kontrollverlust und einem Gefühl der Entfremdung geprägt ist.
Leonardo DiCaprio spielt Bob, einen linksextremen Terroristen, der mit seiner Tochter unter falschem Namen im Untergrund lebt. Bob ist fahrig, überfordert, ständig am Rande des Zusammenbruchs. Wenig geblieben vom einstigen Idealismus, die gesellschaftlichen Verhältnisse mit Gewalt zu verändern. Die Tochter Willa (Chase Infiniti) zieht er allein groß. Perfidia, gespielt von Teyana Taylor, ist Bobs Partnerin, Mutter von Willa und eine revolutionäre Ikone, die nach einem Anschlag verhaftet wird und ihre Mitstreiter verrät. Anschließend verliert sich ihre Spur.
Ihr Gegenspieler ist der grotesk karikierte Colonel Lockjaw – oscarverdächtig gespielt von Sean Penn. Mit ruckartigen Kopfbewegungen, gerecktem Kinn und überzeichnetem Machogehabe spielt Penn einen skrupellosen Militär, der sexuelle Erregung aus seinem Rassismus zieht. Ein Bösewicht vom Kaliber von Heath Ledgers Joker.
Der Film ist zugleich überzogen und ernst, verspielt und wütend. Anderson setzt auf Tempo, auf visuelle Überforderung und ein Sounddesign, das reizt und fesselt. Jonny Greenwoods (Radiohead) Score oszilliert zwischen nervösem Jazz, Noise-Fragmenten und orchestraler Dissonanz, ein akustisches Spiegelbild der inneren Zustände der Figuren.
Der Film wirft viele Motive auf, ohne sie auserzählen zu wollen. Es geht um Familien, um Machtverhältnisse, um das Scheitern der Linken und eine dubiose Gruppierung superreicher weißer Männer, die an das Project 25 erinnert, die hinter den Kulissen die Strippen ziehen und ihre Spuren gründlich verwischen.
One Battle After Another funktoniert gleichermaßen als Actionfilm, als Komödie, als postmoderner Bastard aus Polit-Thriller und Graphic Novel. Alles verdichtet sich am Ende in einer finalen Szene: Drei Autos rasen durch kalifornische Hügel, die Handlung löst sich auf, zurück bleibt ein Gefühl von Stillstand und Vergeblichkeit. In diesem Chaos gibt es keine Gewinner mehr, alle bleiben früher oder später auf der Strecke.
Wie schon in The Master oder There Will Be Blood interessieren Anderson vor allem Figuren am Rand. Menschen, die an ihren Idealen scheitern, die überfordert sind von einer Welt, die sich schneller verändert, als sie reagieren können. In One Battle After Another gibt es keine Helden, nur Überlebende, Suchende und solche, die gelernt haben, das Spiel mitzuspielen und am Ende trotzdem scheitern.
Der Titel verweist dabei nicht nur auf die Handlung, sondern auch auf die Struktur des Films selbst: Szene reiht sich an Szene, Kampf folgt auf Kampf, mal wortwörtlich, mal ideologisch. Ein Film wie ein Fiebertraum, in dem sich Vergangenheit, Gegenwart und Utopie überlagern, ohne je zur Ruhe zu kommen. Am Ende kommt man wie gerädert aus dem Kino mit der ernüchternden Erkenntnis: die Revolution wird nicht stattfinden.
Steven Spielberg zeigte sich im Magazin Film Stage beeindruckt: „Was für ein wahnsinniger Film, oh mein Gott! In der ersten Stunde steckt mehr Action als in allen anderen Filmen, die Anderson je gedreht hat, zusammen. Alles daran ist wirklich unglaublich. Das ist eine Mischung aus Dingen, die so bizarr und gleichzeitig so relevant sind, dass ich glaube, dass sie heute sogar noch relevanter geworden sind als vielleicht zu dem Zeitpunkt, als der Film gedreht wurde.“
Regie:
Paul Thomas Anderson
Drehbuch:
Paul Thomas Anderson (frei nach dem Roman Vineland von Thomas Pynchon)
Literarische Vorlage:
Vineland (1990) von Thomas Pynchon
Genre:
Politischer Actionfilm, Satire, Drama
Produktionsland:
USA
Originalsprache:
Englisch
Laufzeit:
2 Stunden 50 Minuten
Kinostart:
25. September 2025
Cast:
Leonardo DiCaprio
Teyana Taylor
Chase Infiniti
Sean Penn
Regina Hall
Paul Grimstad
Benicio del Toro
Paul Thomas Anderson – Biografie und Filmografie
Paul Thomas Anderson gehört zu den prägenden Regisseuren des zeitgenössischen US-Kinos. Seine Filme sind bekannt für ihre vielschichtigen Charaktere, dichte Bildsprache und ein feines Gespür für Machtverhältnisse, psychologische Dynamiken und das soziale Gefüge Amerikas. Zu seinen bekanntesten Werken zählen Filme wie Boogie Nights, Magnolia oder There Will Be Blood.
Frühe Jahre
Geboren am 26. Juni 1970 in Studio City, Kalifornien, wuchs Paul Thomas Anderson in einem kreativen Umfeld auf. Sein Vater Ernie Anderson war Radiomoderator und TV-Ansager, seine Mutter Lehrerin. Schon früh begann er mit der Kamera zu experimentieren und entschied sich nach einem abgebrochenen Studium am Emerson College und einem kurzen Aufenthalt an der NYU, eigene Projekte umzusetzen – mit Erfolg.
Durchbruch mit Boogie Nights
Sein Langfilmdebüt Hard Eight (1996) – ein ruhiges, dialogstarkes Neo-Noir-Drama – wurde vor allem im Festivalumfeld wahrgenommen. Der große Durchbruch gelang ihm jedoch mit Boogie Nights (1997), einer epischen Chronik der Pornofilmindustrie der 1970er und 80er Jahre. Der Film etablierte Anderson als Regisseur mit außergewöhnlichem Ensemblegefühl und Sinn für filmische Rhythmik.
Stilbildend: Ensemblekino, psychologische Tiefe, formale Virtuosität
In den folgenden Jahren setzte Anderson mit Filmen wie Magnolia (1999) und Punch-Drunk Love (2002) Maßstäbe. Magnolia wurde für seine vernetzte Erzählweise und die emotionale Wucht gefeiert, während Punch-Drunk Love eine überraschend poetische Romantik in einem nervös aufgeladenen Setting entwickelte – mit Adam Sandler in einer seiner eindrücklichsten Rollen.
2007 folgte mit There Will Be Blood ein radikaler Stilbruch. Das düstere Porträt eines rücksichtslosen Ölbarons (Daniel Day-Lewis) wurde zum modernen Klassiker, vielfach ausgezeichnet und oft als sein bis dato stärkstes Werk bezeichnet. In The Master (2012) und Phantom Thread (2017) setzte Anderson seine Auseinandersetzung mit Macht, Kontrolle und Abhängigkeit fort – jeweils erneut mit Daniel Day-Lewis in zentralen Rollen.
Spätere Werke und Pynchon-Adaptionen
2014 wagte sich Anderson mit Inherent Vice erstmals an eine Adaption von Thomas Pynchon – eine halluzinatorische Detektivgeschichte im Kalifornien der 1970er Jahre, getragen von Joaquin Phoenix und einem Soundtrack von Jonny Greenwood, der seither fester Bestandteil von Andersons Team ist.
Licorice Pizza (2021) kehrte stilistisch zu früheren Arbeiten zurück, verband Coming-of-Age, Nostalgie und Ambivalenz in einem lockeren Erzählfluss, der sich vor allem über Atmosphäre und Figurenbeziehungen definiert.
Mit One Battle After Another (2025) folgt nun die zweite Pynchon-Adaption – diesmal allerdings deutlich freier interpretiert und politisch pointierter, visuell greller und erzählerisch fragmentierter als sein Vorgänger.
Filmografie (Langfilme)
1996: Hard Eight (Sydney)
1997: Boogie Nights
1999: Magnolia
2002: Punch-Drunk Love
2007: There Will Be Blood
2012: The Master
2014: Inherent Vice
2017: Phantom Thread
2021: Licorice Pizza
2025: One Battle After Another
Paul Thomas Anderson lebt und arbeitet in Kalifornien. Er ist mit der Schauspielerin und Komikerin Maya Rudolph liiert, mit der er mehrere Kinder hat. Trotz seiner Bekanntheit meidet er weitgehend öffentliche Auftritte und Interviews und zählt zu den wenigen US-Regisseuren, die mit jeder Veröffentlichung eine neue cineastische Handschrift anbieten ohne sich dabei je zu wiederholen.
