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Róisín Murphy sorgt erneut mit transfeindlichen Posts für Kritik

Róisín Murphy hat in den vergangenen Tagen erneut mit transfeindlichen Äußerungen auf Social Media für Empörung gesorgt. Viele queere Fans wenden sich nun enttäuscht von ihr ab.

Die irische Musikerin, die mit Moloko bekannt wurde und in der queeren Clubszene über Jahre als progressive Stimme galt, äußert sich nun wiederholt in einem Ton, der kaum noch Spielraum für Missverständnisse lässt.

In zwei aufeinanderfolgenden Beiträgen auf der Plattform X – früher Twitter – bedient sie zentrale Narrative der sogenannten „genderkritischen“ Bewegung und gibt sich gleichzeitig als Opfer vermeintlich radikaler Queer-Aktivist:innen. Dabei distanziert sie sich nicht etwa von den Rechten, sondern übernimmt deren Argumentationsmuster und Sprachbilder nahezu vollständig.

Am 22. Oktober 2025 veröffentlichte Murphy zunächst eine Grafik, die angeblich einen starken Rückgang der Anzahl junger Menschen zeigt, die sich als trans oder nicht-binär identifizieren. Die Daten stammen laut Murphy aus der Cooperative Election Study der Tufts University und wurden zuvor unter anderem von Fox News verbreitet.

In ihrem Kommentar schrieb Murphy ein kurzes Statement, das Fragen aufwirft: „It was never real. Terribly sad though. Absolute havoc wreaked on children, families and society.“ Die Aussage suggeriert, dass trans Identitäten bei Jugendlichen lediglich ein vorübergehender Trend oder eine Art Massenwahn gewesen seien, ein Narrativ, das besonders in rechten und konservativen Kreisen zunehmend Verbreitung findet.

Roisin Murphy 20.08.2024 Zitadelle (c) Andreas Budtke

Fehlinterpretation wissenschaftlicher Daten

Die zitierte Studie wurde von Jean Twenge, Professorin für Psychologie an der San Diego State University, analysiert. Sie weist explizit darauf hin, dass der Rückgang möglicherweise nicht auf eine tatsächliche Veränderung der Identität zurückzuführen sei, sondern auf veränderte gesellschaftliche Rahmenbedingungen: weniger Akzeptanz, mehr Angst vor Stigmatisierung, schwindende Offenheit. Es handle sich demnach um ein soziokulturelles Phänomen, nicht um einen „Beweis“, dass trans Sein „nie real“ gewesen sei, wie Murphy es behauptet. In den USA sind Trans-Menschen neben Latinos das Haupt-Angriffsziel der aktuellen Regierung Trump.

Ungeachtet dieser differenzierten wissenschaftlichen Einordnung postet Murphy die Grafik mit einer drastischen Schlussfolgerung und trifft damit einmal mehr eine ohnehin bereits stark marginalisierte Community, die aktuell um die Erhaltung ihrer Grundrechte kämpft. Besonders bitter: Viele trans und queere Menschen zählten Murphy lange zu ihren musikalischen Bezugspersonen, sahen in ihrer Kunst ein Abbild queerer Lebensrealitäten. Dass sie nun erneut in transfeindlicher Rhetorik spricht, wirkt wie ein doppelter Verrat: an der Community und an ihrer eigenen künstlerischen Geschichte.

Heftige Reaktionen aus der Szene

Die Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten. DJ The Blessed Madonna, selbst lange Fan und Kollegin von Murphy, reagierte mit einem deutlichen Kommentar: „Go fuck yourself, Róisín. Du hast mich mehr als einmal getäuscht. Du warst nie eine queere Ikone. Nur eine weitere verstaubte TERF, die weiß, wie man queeres Geld zählt und ein Outfit präsentiert.“

Roisin Murphy 20.08.2024 Zitadelle (c) Andreas Budtke

TERF steht für „trans-exclusionary radical feminist“, eine Strömung innerhalb des Feminismus, die trans Frauen aus feministischen Diskursen ausschließen will. Murphy selbst hatte bereits 2023 darum gebeten, nicht als solche bezeichnet zu werden, nachdem sie damals kurz vor dem Release ihres Albums Hit Parade Hormonbehandlungen für Jugendliche öffentlich kritisiert hatte. Schon damals hatte sie behauptet, nur aus „Liebe“ zu sprechen, und angekündigt, sich aus der öffentlichen Debatte um Trans-Themen zurückzuziehen. Dass sie dieses Versprechen nun bricht, ist für viele queere Fans nicht nur enttäuschend, sondern ein Zeichen für eine tiefere ideologische Verschiebung durch Social Media.

Der endgültige Bruch?

Am 23. Oktober veröffentlichte Murphy einen weiteren Beitrag auf X, in dem sie nicht nur auf die Kritik reagierte, sondern ihre Haltung deutlich verschärfte. Sie bezeichnete die Reaktionen auf ihren ersten Post als „mob“ und erklärte, sie wolle mit diesen Menschen nichts mehr zu tun haben, weder persönlich noch künstlerisch. Die queere Szene, die sie einst feierte, stellt sie darin als „kindlich, verwöhnt und anspruchsvoll“ dar und erklärt, sie wolle nicht deren „Mutter oder Königin“ sein, ganz egal, was das für ihre Karriere bedeute.

In einem pathetisch formulierten Textabschnitt beschreibt sie ihre Rolle in der Musikwelt als die einer kompromisslosen, mutigen Künstlerin, die sich nicht dem Druck der Community beugen wolle:

„If being a compassionate artist is to be my downfall now, then so be it. I know in my heart that one day, I will be remembered as a brave person, both morally and artistically uncompromising. In the long run, that will be my legacy.“

Sie schließt mit dem Wunsch, dass man sie eines Tages als moralisch und künstlerisch integre Person erinnern möge, ein Selbstbild, das zunehmend im Widerspruch zur öffentlichen Wahrnehmung steht. Tatsächlich steht sie mit diesen Aussagen stellvertretend für viele Menschen, die angestachelt von gezielter Social Media-Propaganda ins Autoritäre abrutschen und die Realität zunehmend aus dem Blick verlieren.

Das Recht auf freie Meinungsäußerung und die Verantwortung für Minderheiten

Die Welt ist so wie sie ist, Menschen ihre Rechte und Existenz absprechen zu wollen, nur weil sie anders sind als man selbst, kann niemals die Lösung sein. Trans-Menschen existieren. Ihre Identität ist keine Ideologie, kein Trend, kein medizinischer Irrtum. Die Wissenschaft bestätigt das durch unzählige Studien, Leitlinien und jahrzehntelange Praxis. Der Diskurs um Trans-Identität gehört in die Hände von Fachleuten, nicht in die Kommentarspalten von Musikern auf Social Media.

Es ist nicht das erste Mal in der Geschichte, dass Trans-Menschen Ziel von Propaganda werden. Auch Hitler begann seine faschistische Herrschaft mit einem Verbot der medizinischen Forschung zu Geschlechtsidentitäten am Institut für Sexualwissenschaft von Magnus Hirschfeld in Berlin. Hundert Jahre später sollten wir wirklich weiter sein und die Fehler der damaligen Zeit nicht wiederholen. Wir alle tragen Verantwortung dafür, unsere Mitmenschen vor solchen Angriffen zu schützen, ganz gleich, ob sie Juden, queer, Palästinenser, Migranten oder Klimaaktivisten sind.

Jeder hat zweifellos ein Recht auf freie Meinungsäußerung, aber niemand hat ein Recht darauf, dass diese Meinung unwidersprochen bleibt oder durch wissenschaftliche Erkenntnisse gedeckt ist, nur weil man selbst in einer privilegierten Position ist. Wer steile Thesen und hasserfüllte Posts auf einer Dreckschleuder wie Twitter veröffentlicht, muss sich auf entsprechenden Gegenwind gefasst machen.

In der Folge wies sie ihre Assistentin an, jede negative Kritik zu blocken und alle positiven Feedbacks zu liken. Das ist ein mehr als perfider Umgang mit der Meinungsfreiheit anderer. Ihr X Post liest sich jetzt so, als bekäme sie nur Zustimmung für ihre kruden Thesen. Damit zahlt sie weiter auf das Konto derer ein, die die Existenz von Trans-Menschen leugnen und verstärkt ihre eigene Filterblase.

Wissenschaftliche Realität und politische Strategie

Was Murphy als „Meinung“ verkauft, ist in Wahrheit ein ideologischer Angriff auf eine kleine, verletzliche Minderheit mit der kaum jemand im echten Leben in Kontakt kommt. Trans Menschen machen laut Studien nur rund 0,5–1 % der Bevölkerung aus. Dass sich eine gesellschaftliche Debatte in diesem Maße auf sie fokussiert, hat weniger mit tatsächlichen Problemen als vielmehr mit gezielter politischer Ablenkung zu tun.

Es ist eine bekannte Strategie aus der Nazi-Zeit: Minderheiten werden zum Sündenbock für alles gemacht, um die Mehrheiten gegen sie aufzubringen und sie hinter sich zu versammeln mit einem vermeintlichen gemeinsamen Ziel. Es ist ein Vorgehen, das historisch längst bekannt und dokumentiert ist.

Dass Róisín Murphy diese Dynamik nicht erkennt oder bewusst ignoriert, sondern sich ihr anschließt, ist erschütternd für uns als langjährige Fans der Künstlerin. Dass sie glaubt, dabei auf der „richtigen Seite“ zu stehen, offenbart eine gefährliche Verkennung ihrer eigenen Position und Expertise in einem komplizierten Feld.

Ein künstlerischer Verlust

Die queere Szene und auch wir haben Róisín Murphy über viele Jahre begleitet und gefeiert. Unvergessen ihre Auftritte mit Moloko oder die legendäre Show mit den queeren Künstlerinnen von Peaches und Gossip im vergangenen Jahr. Ihre Musik war Teil unzähliger Clubnächte, ihre Ästhetik und Attitüde Vorbild für viele, die sich jenseits der heteronormativen Popkultur bewegten.

Dass sie nun selbst aktiv daran mitarbeitet, diese Community derart von oben herab zu diskreditieren, ist mehr als ein Imageverlust: es ist ein Bruch mit ihrer eigenen künstlerischen Geschichte und möglicherweise auch das Ende ihrer Karriere. Auch wenn wir Kulturboykotte und Cancel Culture strikt ablehnen, würden wir nicht zu Konzerten von Künstler:innen gehen, die meinen mit radikalen und hasserfüllten Meinungen über Minderheiten im derzeitigen politischen Klima etwas positives bewirken zu können.


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