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Antisemitismus breitet sich in der Musikszene aus – Was wir tun können

Die brutale Attacke der Hamas auf Israel deckt auf merkwürdige Weise ein Problem auf: offen zur Schau getragener Antisemitismus macht sich unter links verorteten Künstlern – vor allem in England – breit. Aber auch hier in Deutschland.

Seit Jahren ist die antisemitische Organisation BDS (Boycott, Divestment and Sanctions) in der britischen Musikszene aktiv und hat in den letzten Jahren viele Musiker und Bands mit öffentlichem Druck über Social Media Kampagnen dazu gezwungen, geplante Konzerte im „Unterdrückerstaat“ Israel abzusagen. Die Agenda dahinter ist, Israel durch Boykotte, Sanktionen und finanziellen Druck in die Knie zu zwingen und letztlich zu zerstören.

Einige Künstler wie Radiohead oder Nick Cave haben sich diesem Druck mit klaren Worten entzogen und sind trotzdem für ihre Fans in Israel aufgetreten. Andere, wie das Berliner Festival Pop Kultur, haben dem anhaltenden Druck offenbar nachgebeben. Dort durften israelische Künstler mit finanzieller Unterstützung durch die israelische Botschaft auftreten, worauf BDS das Festival mit aggressiver Rhetorik als „antipalästinensisches, rassistisches Festival“ brandmarkte und dadurch dessen Ruf international schädigte. Und das obwohl es völlig üblich ist, dass internationale Auftritte von Newcomern durch ihre Regierungen oder in Deutschland durch das Goethe-Institut gefördert werden.

Nick Cave fand 2018 die besten Worte gegen das Ansinnen von Brian Eno, ihn für die Sache von BDS zu gewinnen:

„I think the cultural boycott of Israel is cowardly and shameful. In fact, this is partly the reason I am playing Israel – not as support for any particular political entity but as a principled stand against those who wish to bully, shame and silence musicians. I don’t intend to engage in a detailed discussion as to how the boycott of Israel can be seen to be anti-Semitic at heart and, furthermore, does not work (rather, it risks further entrenching positions in Israel in opposition to those you support), but even the estimable Noam Chomsky considers the BDS as lacking legitimacy and inherently hypocritical. What we actually have here is a fundamental difference of opinion as to what the purpose of music is.“

Nick Cave in seinem Blog „Red Hand Files“

Die Liste der BDS-Unterstützer aus der Musikszene wird trotzdem länger und länger. Zu den Unterzeichnern der offenen Briefe für einen kulturellen und finanziellen Boykott Israels gehören viele hoch geschätzte Künstler wie z.B. Julian Casablancas (The Strokes), Chuck D (Public Enemy), Brian Eno, CocoRosie, Lauryn Hill, Pete Seeger, UB40, Cat Stevens, Kae Tempest, Roger Waters, Rage Against the Machine, Run the Jewels, Godspeed You! Black Emperor, Questlove, Thurston Moore, Chromeo, Nicolas Jaar, Noname, Owen Pallett, Bikini Kill, Kid Cudi, Kali Uchis, Blonde Redhead, Deerhoof, Beth Ditto, Mykki Blanco, The Blessed Madonna, Youth Lagoon, Fucked Up, Mogwai, Bonnie „Prince“ Billy, Kode9, Vijay Iyer, A Place To Bury Strangers, Helado Negro, Pulp, Lucy Dacus und Sam Fender.

Was ist BDS?

BDS steht für „Boycott, Divestment, and Sanctions“ (Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen). Es handelt sich dabei um eine global geführte Kampagne, die darauf abzielt, wirtschaftlichen und politischen Druck auf Israel auszuüben, um seine Politik und Maßnahmen gegenüber den Palästinensern zu ändern. Die BDS-Bewegung strebt drei Hauptziele an: das Ende der israelischen Besetzung palästinensischer Gebiete, die Anerkennung der Grundrechte der arabisch-palästinensischen Bürger Israels auf vollständige Gleichberechtigung sowie die Achtung, Schutz und Förderung der Rechte palästinensischer Flüchtlinge auf Rückkehr in ihre Häuser und Eigentum, wie in der UN-Resolution 194 festgelegt. Kritiker argumentieren, dass die aggressiv geführte Kampagne die israelisch-palästinensische Spaltung verschärft und eine Lösung erschwert, während Befürworter sie als friedliches Mittel zur Unterstützung der palästinensischen Rechte ansehen. Der Gründer von BDS lehnt eine Zweistaaten-Lösung ab und plädiert für eine Auflösung des Staates Israel. Stattdessen sollen Muslime und Juden in einem vereinten Staat Palästina zusammen leben.

Ausgerechnet Björk postete kurz nach der Attacke auf Israel auf Instagram eine Landkarte von Palästina, die zeigen sollte, wie Israel über Jahre den Palästinensern ihr Land wegnahm, dass ihre Infografik letztlich nur antiisraelische Propaganda verbreitet. Der Post von Björk ist trotz aller Kritik weiterhin online, in den Kommentaren sind klar antisemitische Statements zu lesen, die scheinbar nicht gelöscht oder moderiert werden.

Kollegin Regina Spektor zeigte sich entsetzt über ihre musikalische Heldin: „Wie kann man von anfänglichem Schweigen über das schlimmste Pogrom/Massaker an unschuldigen jüdischen Leben, Vergewaltigungen, Mord und Folter nur zu einer so falschen Infografik gelangen, die auf Propaganda der Täter basiert?“

Natürlich können Musiker ihre politische Meinung in demokratischen Ländern jederzeit öffentlich äußern und es gibt auch viel Grund für Kritik an der israelischen Besatzungspolitik, aber es ist schon sehr schmerzhaft, wenn sie ihre Reichweite dazu nutzen, mal eben die Auslöschung von Israel zu fordern, so wie es Karin Dreijer von Fever Ray im November getan hat. „From the river to the sea, Palestine will be free“ ist eben kein Friedensapell. In Deutschland ist die Verwendung dieses Satzes auf Demonstrationen sogar als Volksverhetzung strafbar. Was wird aus der Region, wenn Israel von Islamisten, gesponsert vom Iran, eingenommen werden würde? Dass diese plötzlich friedlich an der Seite der jüdischen Bevölkerung leben würde, ist wohl kaum zu erwarten.

Ausgerechnet eine non-binäre queere Künstler*in fällt auf die islamistische Propaganda herein und schlägt sich mit ihrem Statement auf die Seite der Angreifer in diesem brutalen Krieg, der damit begonnen hat, dass Terroristen ein friedliches Musikfestival überfallen, Menschen entführt, vergewaltigt und brutal ermordet haben. Dieser Angriff galt nicht nur Israel, sondern allen westlichen Demokratien – und damit auch uns. Wie kann man das mit einer weltoffenen, demokratischen und friedliebenden Gesinnung in Einklang bringen, die man international erfolgreichen Künstlern einfach mal unterstellen möchte?

In Schweden fordern gerade hunderte Künstler (u.a. auch Robyn) in einem offenen Brief einen Ausschluss von Israel Eurovision Song Contest aus, obwohl die Künstler dort anders als in Russland oder Belaraus frei äußern können und eine eigene Stimme haben. Künstler mundtot machen, um den Krieg zu beenden? Es ist alles so sinnlos, was gerade im Namen der guten Sache gepostet und gefordert wird. Alles was darauf folgt ist Hass. Hass gegen Israelis, Hass gegen Juden, weil ihr Staat ein Terrorstaat sei. So reagieren die Fans der Künstler vielfach auf solche Posts. Dass sie damit Antisemitismus verbreiten, scheint ihnen egal zu sein. Sie bräuchten nur in ihre Social Media Kommentare schauen, um zu sehen, welche Folgen diese abstrusen Forderungen nach einem kulturellen Boykott eines ganzen Landes hat.

Die Naivität mit der Künstler, etwa auch bei einer pro-pälästinensischen Demonstration an der Universität der Künste in Berlin auf die Propaganda der Islamisten hereinfallen und sogar deren Symbole verwenden, ist einfach nicht zu fassen und zeigt, wie effektiv die Propaganda der Hamas funktioniert. Sie hat alle Ziele ihrer Attacke erreicht und ist nun dabei die westliche Welt tief zu spalten.

Aber wie gehen wir als Musikfans in Deutschland nun damit um? Können wir es einfach ignorieren, wenn unsere Lieblingskünstler mit ihren hohlen „Free Palestine“-Parolen um sich werfen, nicht wissend, dass wir in Deutschland aufgrund unserer allgegenwärtigen Geschichte möglicherweise schon zwei, drei Schritte weiter denken? Was kann schon schief gehen, wenn man die Terroristen der Hamas einfach mal weitermachen ließe?

Sollen wir umgekehrt einfach die Shows der BDS-Unterstützer boykottieren und dadurch den Gegendruck erhöhen? Zumindest kann einem die Lust auf Musik vergehen, wenn Musiker meinen, ihre persönliche Meinung zu einem der größten Konflikte unserer Zeit sei für Fans ihrer Musik von irgendeiner Relevanz. Es grenzt an Größenwahn, zu denken, man könne diesen Konflikt mit lausigen Boykottaufrufen beilegen. Das gilt allerdings für beide Seiten.

Der einzige Weg zum Frieden ist miteinander ins Gespräch zu kommen und sich nicht gegenseitig in Filterblasen zu verlieren, in der es nur noch eine Meinung gibt und die andere Meinung nur noch Hass erzeugt. Denn das ist der direkte Weg in die Diktatur.

Und wir sollten uns bei seriösen Quellen über die Hintergründe des Krieges informieren. Im Podcast „Lost in Nahost“ sprechen die Korrespondenten der ARD im Studio in Tel Aviv darüber, was vor Ort tatsächlich passiert.

Wir sollten Musiker gelegentlich daran erinnern, dass sie keine Journalisten sind und dass wir Fans nicht nur eine homogene Masse sind, die zu allem nur Applaus gibt, sondern besonders dämliche Aufrufe oder Kommentare auch mit einer entsprechenden Reaktion begegnen, sei es auf Konzerten oder in Social Media Kanälen.

Nicht jedes Social Media Statement ist wohlüberlegt und muss auch nicht unwidersprochen stehen bleiben. Aber wer tatsächlich die offenen Briefe des BDS unterschreibt, stellt sich in diesem Konflikt auf eine Seite: auf die Seite der Islamisten. Die Künstler, die BDS nahestehen, unterstützen eine Organisation mit dem erklärten Ziel, Israel auszulöschen – und das ist als Haltung nicht akzeptabel, übrigens nicht nur in Deutschland.

„Wenn sich Künstler, Wissenschaftler oder andere Intellektuelle der BDS-Bewegung anschließen oder dafür plädieren, dass Israelis irgendwo ausgeladen werden, nur weil sie jüdische Israelis sind – dann müssen sie es auch ertragen, dass ihre Haltung als das benannt wird, was sie ist: antisemitisch. Das hat mit einer Einschränkung der Meinungsfreiheit nichts zu tun, denn Antisemitismus ist keine Meinung!“

Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden 2021

Vielleicht wäre es endlich an der Zeit, dass sich die deutsche Musikszene mit den Menschen in Israel und Palästina solidarisiert und vereint ein klares Zeichen gegen den BDS setzt und zeigt, dass man mit plumpen antisemitischen Parolen in Deutschland niemanden überzeugen kann und auch keinen Frieden erreicht. Der deutsche Musikmarkt ist der drittgrößte der Welt und nicht ganz ohne Einfluss. Wir können es nicht zulassen, dass eine solche radikale Organisation uns spaltet und gegeneinander aufhetzt, ganz gleich, welche privaten, halbinformierten Ansichten man zu diesem Konflikt auch haben mag.

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