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Casper – Lang lebe der Tod (Album)

Der Posterboy des Deutschrap ist wieder da, nur will er dies endgültig nicht mehr sein. Mit „Lang lebe der Tod“ verabschiedet sich Casper von einer Szene, in die er nie wirklich gepasst hat und liefert nebenbei noch ein zeitgeschichtliches Dokument.

Vorfreude ist ja bekanntlich die schönste Freude. Das dachte sich wohl auch Casper, als er letztes Jahr kurzerhand sein neues Album verschob und die Wartezeit seiner Fans um ein Jahr verlängerte. Casper hatte nicht das Gefühl, das Bestmögliche rausgeholt zu haben und so blieb es viele Monate bei der einen Single als Vorgeschmack.

Dieser selbstauferlegte Perfektionismus steigerte die Erwartungshaltung umso mehr, auch weil der Titeltrack ganz anders war, als alles, was man bisher von Casper kannte. „LLDT“ ist düster, brutal, offensiv, dabei aber weiterhin respektvoll und stilsicher. Der einst als Emo-Rapper abgestempelte Bielefelder ließ die Grenzen zwischen Hip-Hop und Indie schon früher verschwimmen, nun kommen auch noch Industrial, Alternative und New Wave hinzu.

Von dunklen Beatmonstern unterstützt frönt Casper einerseits dem ungesunden Hedonismus („Sirenen“), schießt andererseits gegen Verschwörungstheoretiker und Kleingeister („Morgellon“) und findet nebenbei seinen inneren Stadionrocker. Backup-Chöre, welche Die Toten Hosen seit 20 Jahren unmotiviert in jede Single packen, wirken bei Casper plötzlich wieder frisch und sinnvoll genutzt („Wo die wilden Maden graben“). 

„Alles ist erleuchtet“ liefert mit Bring Me The Horizon-Refrain und schwindelerregenden Strophen den Dynamikhöhepunkt des Albums und über die Zusammenarbeit mit Drangsal „Keine Angst“ muss man nicht viele Worte verlieren, es ist schlicht und ergreifend ein Hit.

Die letzten drei Songs des Albums drosseln die enorme Energie von „Lang lebe der Tod“ vor dem finalen Ausbruch plötzlich und Casper wird beinahe wieder zum introvertierten Rapbubi von „XOXO“. Allerdings hat er seine persönliche Coming-Of-Age-Story zu Ende erzählt und ist nun der gereifte Künstler, der er schon immer sein wollte. Kompromisslos lässt Casper die Deutschrapszene hinter sich und auch den popstarähnlichen Hype um seine Person möchte er loswerden („Meine Kündigung“, „Lass sie gehen“).

Ob letzteres mit diesem gleichermaßen ausdrucksstarken wie in sich gekehrten Album gelingt, darf bezweifelt werden, denn es spricht eine Generation an, die sich zwischen Lebenslust und Existenzangst, zwischen Reisen rund um den Globus und politischer Unsicherheit befindet. Diese Generation möchte sich sämtliche Optionen offen halten und ist auch bereit dafür zu kämpfen, letztendlich ist der Drang nach Ruhe und Frieden und persönlichem Glück aber noch größer. „Lang lebe der Tod“ vertont diese Ambivalenz und wird so zum zeitgeschichtlichen Zeugnis des Jahres 2017.

Autor: Marinus Seeleitner

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