Am 20. August 1996 starb Ralph Christian Möbius aka Rio Reiser. Seine Songs und Texte sind unsterblich und immer noch relevant.
Rio Reiser gründete Ende der 60er Jahre mit ein paar Freunden die Band Ton Steine Scherben. Also in einer Zeit in der in Deutschland durch die Studentenbewegung tief greifende Veränderungen passierten. Auch Ton Steine Scherben sind zunächst eine radikal politische Band, ihre ersten Songs haben programmatische Titel wie „Macht kaputt was euch kaputt macht“, „Keine Macht für Niemand“ oder „Ich will nicht werden was mein Alter ist“.
Mit dem Bandableger Brühwarm enttabuisiert der offen schwule Rio Reiser die Schwulenthematik auf erfrischend schamlose Weise. Doch schnell wurden Ton Steine Scherben vereinnahmt als musikalisches Sprachrohr der 68er Generation, was zunehmend zu einer Belastung wurde. Irgendwann hatte auch Rio Reiser keine Lust mehr, die enormen Erwartungshaltungen der politischen Gesinnungsgenossen zu erfüllen und sich als singendes Protestplakat benutzen zu lassen. Nach zwei hoch politischen Alben schlägt die Band einen neuen Weg ein. Auf „Wenn die Nacht am tiefsten ist“ zeigt sich Rio Reiser von einer persönlicheren Seite und schreibt für dieses Album eines der bis heute schönsten deutschsprachigen Liebeslieder („Halt dich an deiner Liebe fest“).
Danach folgt ein radikaler Bruch. Rio Reiser befreit die Musik seiner Band komplett von griffigen politischen Slogans. Das Album IV („Schwarzes Album“) ist ihr komplexestes und interessantestes Werk. Nur selten hat eine deutsche Band eine eigenständigere Musik auf Vinyl gepresst – und selbst vertrieben. Denn auch das prägt die Karriere der Ton Steine Scherben: sie sind und bleiben ein vollkommen unabhängiges Unternehmen und organisieren alles – vom Plattenvertrieb bis zum Konzertplakat – komplett selbst. Claudia Roth, wurde Anfang der 80er die Managerin der Band, konnte aber auch nicht mehr verhindern, dass die Band trotz ihres enormen Ruhms pleite ging.
Rio Reiser schlug deshalb Mitte der 80er Jahre seine Solokarriere ein und unterschrieb einen lukrativen Vertrag bei einem Majorlabel für das er gemeinsam mit Annette Humpe (Ideal, Ich und Ich, Trio) diverse Hits produzierte (u.a. Junimond, König von Deutschland). Doch seinem exzessiven Lebenswandel und Alkoholkonsum konnte sein Körper auf Dauer nicht standhalten. Am 20. August 1996 starb er vermutlich an Herz-Kreislauf-Versagen in seinem Haus in Fresenhagen. Rio Reiser ist und bleibt unvergessen und hat in der deutschen Musiklandschaft seine tiefen Spuren hinterlassen: deutschsprachige Popmusik wäre ohne Rios Einfluss wahrscheinlich immer noch nur „Schlager“ und ein zweitklassiger Abklatsch großer anglo-amerikanischer Vorbilder. Sein Werk hat viele Künstler – von Jan Delay bis Wir sind Helden – inspiriert, eine eigene Stimme und Sprache zu entwickeln. Danke Rio! (ur)
ACT DES MONATS