Mit Virgin veröffentlicht Lorde ihr viertes Studioalbum und kehrt nach dem zwiespältig aufgenommenen Solar Power zu jener introspektiven Klarheit zurück, die sie einst zur Stimme einer ganzen Generation machte.
Schon die Single Hammer, die gleichzeitig als Opener fungiert, gibt die Richtung vor: ein tanzbarer Beat, ein nervös pulsierender Groove, und Lyrics, die zwischen Selbstreflexion und urbaner Momentaufnahme oszillieren.
Die Zeile „Some days I’m a woman, some days I’m a man“ verweist auf die veränderte Selbstwahrnehmung der Künstlerin und wurde ursprünglich als Instagram-Kommentar gepostet. In diesem Kontext wirkt der Song wie eine vertonte Notiz aus einem persönlichen Transformationsprozess.
Inhaltlich setzt sich Lorde auf Virgin offen mit dem eigenen Körper auseinander – unter anderem im Zusammenhang mit einer überstandenen Essstörung sowie einer fluiden Geschlechteridentität. Dass sie das Album mit einem Röntgenbild ihres Beckens – inklusive sichtbarer Spirale – bebildert, unterstreicht den schonungslos direkten Charakter dieser Songs.
Virgin ist auch die erste Lorde-Platte seit Melodrama (2017), auf der Jack Antonoff (Lana Del Rey u.a.) nicht mehr beteiligt ist. Stattdessen übernimmt Jim-E Stack, bekannt durch seine Arbeit mit Bon Iver, die Hauptrolle in der Produktion, gemeinsam mit Dan Nigro, der unter anderem Olivia Rodrigo und Chappell Roan zu ihrem charakteristischen Sound verholfen hat. Diese personelle Neuausrichtung ist hörbar: Der Klang ist direkter, urbaner, weniger flächig als noch auf Solar Power.
In What Was That, der ersten Veröffentlichung aus dem Album, gelingt eine Brücke zu früheren Werken: Das Songintro erinnert in seiner euphorischen Grundstimmung an Green Light, zentrale Textzeilen wie „since I was 17“ schlagen den Bogen zurück zur Royals-Ära als Lorde im Jahr 2013 plötzlich in der Popwelt einschlug als eine der ersten viralen Künstlerinnen. Doch seitdem ist viel passiert und die Welt hat sich weitergedreht seit ihrer langen Pause. Ob ihr die Fans noch folgen oder inzwischen weitergezogen sind, wird sich erst auf der Tour herausstellen.
Die Veröffentlichung von Virgin fällt in eine Zeit, in der viele große Popalben eher auf Eskapismus, Camp und theatralische Überhöhung setzen. Acts wie Sabrina Carpenter oder Chappell Roan füllen ihre Songs mit Figuren, Rollen und Masken. Dagegen wirkt Lordes introspektiver Zugang fast antiquiert – oder eben wieder zeitgemäß, je nach Blickwinkel.
Gerade in dieser Spannung entfaltet Virgin seine Relevanz: Es ist ein Album, das nicht gefallen will, sondern erzählen. Kein großes Spektakel, kein verkleideter Pop. Sondern ein bewusst gesetztes, persönliches Statement. Ob das Publikum diesen Weg mitgeht, bleibt abzuwarten.
Virgin erscheint am 27. Juni 2025
Biografie Lorde
Ella Marija Lani Yelich-O’Connor, weltweit bekannt unter ihrem Künstlernamen Lorde, zählt zu den prägendsten Pop-Stimmen ihrer Generation. Mit einem Gespür für intensive Stimmungen, poetische Texte und klangliche Eigenständigkeit hat sie sich seit ihrem Durchbruch 2013 vom Teenie-Wunderkind zur ernstzunehmenden Künstlerin mit weltweitem Einfluss entwickelt.
Herkunft und musikalische Anfänge
Lorde wurde am 7. November 1996 in Takapuna, einem Stadtteil von Auckland, Neuseeland geboren und wuchs in der Vorstadt Devonport auf. Ihr Vater ist Bauunternehmer, ihre Mutter, Sonja Yelich, ist eine mehrfach ausgezeichnete Lyrikerin mit kroatischen Wurzeln – ein Einfluss, der sich auch in Lordes eigenem Interesse an Sprache und Poesie widerspiegelt.
Schon früh zeigte sie ein ausgeprägtes Talent für Sprache und Musik. Mit zwölf Jahren trat sie bei einer Schulaufführung auf, woraufhin ein Talentscout der Plattenfirma Universal auf sie aufmerksam wurde. Es folgte eine Entwicklungsphase, in der sie gemeinsam mit verschiedenen Songwritern an ihrer musikalischen Stimme feilte. Besonders prägend war die Zusammenarbeit mit dem neuseeländischen Musiker und Produzenten Joel Little.
Durchbruch mit Pure Heroine
2013 veröffentlichte Lorde im Alter von nur 16 Jahren ihre Debüt-EP The Love Club, auf der sich auch der internationale Hit Royals befand. Der Song, ein minimalistischer Kommentar zur Konsumkultur im Mainstream-Pop, schlug ein wie ein Blitz: Royals erreichte Platz 1 der Billboard Hot 100 und brachte Lorde als erste neuseeländische Künstlerin seit Jahrzehnten an die Spitze der US-Charts.
Ihr Debütalbum Pure Heroine folgte kurz darauf und überzeugte mit einem düsteren, elektronischen Sound, introspektiven Texten und einer bemerkenswert reifen Haltung. Der reduzierte, aber pointierte Stil stand in starkem Kontrast zur vorherrschenden Pop-Ästhetik der Zeit und machte Lorde zur Stimme einer Generation, die sich vom Glamour des Mainstream-Pop abgewendet hatte.
Melodrama – Die Kunst der Emotion
Nach dem frühen Ruhm zog sich Lorde zunächst aus der Öffentlichkeit zurück. Ihr zweites Album Melodrama, das 2017 erschien, wurde in enger Zusammenarbeit mit dem Produzenten Jack Antonoff entwickelt. Die Songs reflektieren das Ende ihrer ersten großen Liebesbeziehung und die Suche nach Identität im Erwachsenwerden.
Melodrama wurde von Kritik und Publikum gleichermaßen gefeiert. Die klangliche Bandbreite, die emotionale Tiefe und die stilistische Präzision gelten bis heute als Meilenstein im modernen Pop. Das Album brachte Lorde eine Grammy-Nominierung als „Album des Jahres“ ein und festigte ihren Status als außergewöhnliche Songwriterin.
Solar Power – Ein Bruch mit Erwartungen
2021 kehrte Lorde mit ihrem dritten Album Solar Power zurück – ein Werk, das viele überraschte. Statt düsteren Beats und hymnischer Emotionalität dominierte ein sonnendurchfluteter, fast spiritueller Folk-Pop-Sound. Lorde verarbeitete darin ihre Erfahrungen mit Ruhm, Naturverbundenheit und persönlicher Selbstfindung. Produziert wurde das Album erneut mit Jack Antonoff, diesmal inspiriert von Künstlerinnen wie Joni Mitchell oder Crosby, Stills & Nash.
Begleitet wurde das Album von einem bewussten Rückzug aus digitalen Medien: Lorde veröffentlichte keine physische CD, verzichtete weitgehend auf soziale Netzwerke und kommunizierte vor allem über einen Newsletter mit ihren Fans. Trotz gemischter Reaktionen wurde Solar Power als mutiger künstlerischer Schritt gewürdigt.
Zwischenstationen und neue Einflüsse
In der Zwischenzeit engagierte sich Lorde auch außerhalb der klassischen Albumzyklen. Sie veröffentlichte ein Begleit-EP zu Solar Power mit Songs auf Māori, der indigenen Sprache Neuseelands. Zudem trat sie als Gastmusikerin bei Marlon Williams auf und veröffentlichte ausgewählte Coverversionen von Künstlerinnen wie Rosalía, Britney Spears und den Talking Heads.
Ihre sporadischen Auftritte, etwa bei einem Festival in England, wo sie erstmals neue Songs präsentierte, heizten Spekulationen um ein viertes Album an. Die Spannung wuchs – bis sie 2025 mit der Single What Was That ein erstes konkretes musikalisches Zeichen setzte.
Ein Popstar mit Haltung
Lorde hat sich über die Jahre als eine Künstlerin etabliert, die sich konsequent gegen den schnellen Rhythmus des Popgeschäfts stellt und sich gerne rar macht. Sie veröffentlicht selten, aber gezielt, mit einem klaren künstlerischen Konzept. Ihre Songs sind immer auch Selbstporträts, getragen von einer reflektierten Haltung und einer Sprache, die weit über das hinausgeht, was der Mainstream bietet.
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