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Mariah Carey – Here for It All

Mit ihrem 16. Studioalbum meldet sich Mariah Carey nach sieben Jahren Pause zurück – stilistisch unverändert und mit einer Produktion, die ebenso gut 1995 hätte erscheinen können.

★★★★☆

Here for It All ist ein opulent arrangiertes, bewusst nostalgisches Pop- und R&B-Album, das sich ganz auf die Essenz von Mariah Carey konzentriert: Glamour, Verletzlichkeit, Selbstbewusstsein und eine Stimme, die mehr als nur ein Jahrzehnt Musikgeschichte geprägt hat.

Schon der eröffnende Track „Mi“ bringt das Grundgefühl des Albums auf den Punkt. Ein verspieltes, leicht kitschiges Selbstporträt im Diva-Modus, in dem Carey in bester Eigenwerbung mit dem Satz „I’m the D-I-V-A, that’s M-C“ eine klare Ansage macht. Es folgen Songs wie „Type Dangerous“, ein selbstironischer, fast bissiger Pop-Track, der ihre langjährige Chart-Historie augenzwinkernd kommentiert („Certified diamonds like the songs I wrote“) und dabei eine Funk-Schlagseite entwickelt, die an frühe 2000er-Produktionen erinnert.

Doch Here for It All ist mehr als eine selbstzufriedene Rückschau. In Songs wie „Nothing Is Impossible“ oder dem Titeltrack zeigt Carey eine verletzliche, reflektierte Seite, in der sie persönliche Kämpfe und ihr Leben als Mutter thematisiert.

Der Sound bleibt dabei reduziert, getragen von eleganten Piano-Lines und viel Raum für ihre Stimme. Gerade in diesen Momenten wirkt das Album authentisch, fast intim – auch, weil sich Carey nicht mehr versteckt hinter Perfektion, sondern die gealterte, nicht mehr makellose Stimme bewusst in den Mittelpunkt rückt. Stimmakrobatik findet man auf Here for It All nur noch selten.

Produziert wurde Here for It All erneut unter der Federführung von L.A. Reid, mit dem Carey schon mehrfach zusammengearbeitet hat. Klanglich ist das Album dabei ein sorgfältig kuratierter Rückgriff auf die Hochzeiten von Mariah Carey in den 1990ern: Soul-Balladen, Disco-Anleihen, leichtfüßiger Pop mit R&B-Fundament. Titel wie „I Won’t Allow It“ erinnern an den Glamour von „Fantasy“ oder „Honey“, ohne deren ikonischen Status zu kopieren. Stattdessen wirkt das Album wie eine Reminiszenz an eine Ära, in der große Popproduktionen noch nicht ironisch gebrochen wurden.

Here for It All ist kein Comeback im klassischen Sinne, sondern eher eine Fortsetzung mit neuen Akzenten. Mariah Carey präsentiert sich hier nicht als unantastbare Vokalistin, sondern als erfahrener Popstar, der gelernt hat, seine Stärken neu zu justieren. Dass sie dabei keine großen stilistischen Risiken eingeht, mag man ihr vorwerfen. Doch der Rückgriff auf altbewährte Formeln funktioniert auch deshalb so gut, weil sie sie beherrscht wie kaum eine andere.

Biografie: Mariah Carey

Mariah Carey wurde am 27. März 1969 (offiziell: 1970) in Huntington, Long Island, New York geboren. Ihre Mutter, Patricia Hickey, war Opernsängerin und Gesangslehrerin, ihr Vater Alfred Roy Carey war Luft- und Raumfahrttechniker mit afro-venezolanischen Wurzeln. Die Ehe der Eltern zerbrach früh, Mariah wuchs vorwiegend bei ihrer Mutter auf. Bereits als Kind zeigte sie eine außergewöhnliche stimmliche Begabung und begann im Teenageralter, Songs zu schreiben und Demos aufzunehmen.

Nach dem Schulabschluss zog Carey nach Manhattan, arbeitete als Backgroundsängerin und kellnerte, während sie an ihrer Musikkarriere feilte. Der Durchbruch gelang ihr 1988, als sie dem damaligen Sony-Chef Tommy Mottola ein Demo überreichte – ein klassisches Popmärchen. Mottola war begeistert, nahm Carey unter Vertrag und wurde später auch ihr Ehemann (die Ehe hielt von 1993 bis 1998).

Ihr Debütalbum Mariah Carey erschien 1990 und wurde ein enormer Erfolg. Vier aufeinanderfolgende Nummer-eins-Singles in den US-Charts machten sie zur Sensation, ihre fünf Oktaven umfassende Stimme mit der Fähigkeit zum sogenannten “Whistle Register” wurde schnell zu ihrem Markenzeichen. Mit den Alben Emotions (1991), Music Box (1993) und Daydream (1995) etablierte sich Carey als eine der erfolgreichsten Künstlerinnen der 90er-Jahre.

Insbesondere Daydream markierte eine Wende in ihrem Sound: R&B und Hip-Hop rückten stärker in den Fokus, mit Kollaborationen u. a. mit Ol’ Dirty Bastard („Fantasy“) oder Boyz II Men („One Sweet Day“). Damit öffnete sie den Mainstream für eine stilistische Verbindung, die später prägend für den Pop der 2000er wurde.

In den späten 90ern und frühen 2000ern folgten Karriereumbrüche. Das 2001 veröffentlichte Album Glitter wurde durch Produktionsprobleme und Careys mentale und gesundheitliche Krisen überschattet. Auch der gleichnamige Film floppte. Ihre neue Labelheimat Virgin Records löste den Vertrag auf. Es folgte ein vorsichtiger Neustart.

2005 gelang Carey mit dem Album The Emancipation of Mimi ein eindrucksvolles Comeback. Die Single We Belong Together wurde ein weltweiter Hit, das Album vielfach mit Preisen ausgezeichnet. In den folgenden Jahren bewegte sie sich zwischen kommerziellem Erfolg, künstlerischer Eigenständigkeit und der zunehmenden Ikonisierung ihrer Person als Diva und Popkultfigur. Ihre Präsenz in den Medien – sei es durch Reality-TV, Bücher oder aufwändige Weihnachtsshows – ist bis heute ein fester Bestandteil ihrer Karriere.

Carey ist auch als Songwriterin eine Ausnahmeerscheinung im Popgeschäft. Sie schrieb oder co-schreib alle ihre Hits selbst – darunter Klassiker wie „Hero“, „Vision of Love“, „Always Be My Baby“ oder „All I Want for Christmas Is You“. Letzterer wurde erst Jahre nach seiner Veröffentlichung zu einem globalen Weihnachts-Phänomen, das jährlich neue Chartrekorde aufstellt.

Neben der Musik engagiert sich Carey für soziale Themen wie LGBTQ+-Rechte, die Unterstützung alleinerziehender Mütter und gegen Rassismus. In ihrer 2020 erschienenen Autobiografie The Meaning of Mariah Carey thematisierte sie erstmals ausführlich ihre Kindheit, Familienkonflikte, psychische Gesundheit und den langen Weg zur Selbstbestimmung als Künstlerin.

Mit Here for It All (2025) legt Carey nach sieben Jahren Pause ihr mittlerweile 16. Studioalbum vor. In einer Musikwelt, die sich seit ihrem Debüt mehrfach gewandelt hat, bleibt sie eine Konstante – als Sängerin, Songwriterin und Symbol für Selbstbehauptung und künstlerische Unabhängigkeit.

Diskografie: Studioalben von Mariah Carey

Mariah Carey (1990)
Das Debüt, das gleich vier US-Nummer-eins-Hits lieferte („Vision of Love“, „Love Takes Time“, „Someday“, „I Don’t Wanna Cry“) und Mariah Carey weltweit bekannt machte.

Emotions (1991)
Stilistisch stärker vom Gospel und Soul geprägt. Der Titelsong erreichte erneut Platz 1 der US-Charts.

Music Box (1993)
Mit über 28 Millionen verkauften Einheiten eines ihrer kommerziell erfolgreichsten Alben, mit Hits wie „Hero“ und „Dreamlover“.

Merry Christmas (1994)
Weihnachtsalbum mit dem weltweiten Evergreen „All I Want for Christmas Is You“. Bis heute eines der meistverkauften Weihnachtsalben aller Zeiten.

Daydream (1995)
Musikalischer Übergang zu R&B und Hip-Hop. Enthält „Fantasy“ (mit Ol’ Dirty Bastard) und „One Sweet Day“ (mit Boyz II Men), der Rekordhalter für die längste Zeit auf Platz 1 der Billboard Hot 100 (16 Wochen, bis 2019).

Butterfly (1997)
Künstlerisch reifer, emotionaler, stärker im R&B verwurzelt. Wird heute von vielen als Careys bestes Album betrachtet.

Rainbow (1999)
Fortsetzung der R&B-Ausrichtung. Singles wie „Heartbreaker“ (feat. Jay-Z) oder „Thank God I Found You“ unterstrichen ihre Chartdominanz.

Glitter (2001)
Soundtrack zum gleichnamigen Film. Kritisch und kommerziell zunächst ein Misserfolg, wird heute teilweise als unterschätzt angesehen.

Charmbracelet (2002)
Rückbesinnung auf Balladen und persönliche Themen, nach Careys öffentlichem Zusammenbruch im Jahr zuvor.

The Emancipation of Mimi (2005)
Weltweites Comeback mit mehrfach Platin-ausgezeichneten Singles. „We Belong Together“ zählt zu ihren größten Erfolgen.

E=MC² (2008)
Populär, aber weniger gut aufgenommen als Mimi. Beinhaltet den Clubhit „Touch My Body“.

Memoirs of an Imperfect Angel (2009)
Ein introspektives, unterschätztes Album mit vielen Slow Jams. Keine großen Hits, aber solide Kritiken.

Merry Christmas II You (2010)
Zweites Weihnachtsalbum mit neuen Songs und Neuinterpretationen.

Me. I Am Mariah… The Elusive Chanteuse (2014)
Ein experimentelleres Album, das unterschiedliche Stile verknüpft. Kritisch geschätzt, kommerziell weniger erfolgreich.

Caution (2018)
Modern und stilistisch kohärent. Kritisch hochgelobt, mit klarer R&B-Ausrichtung und minimalistischer Produktion.

Here for It All (2025)
Rückblickend, selbstreferenziell, stilistisch im gewohnten Sound verortet. Features mit Anderson .Paak, Kehlani, Shenseea und den Clark Sisters.


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