Der „Release Radar“ war bisher eine der wichtigsten Playlists auf Spotify. Sie empfahl auf Basis des Hörprofils neue Releases und das Entdecken neuer Musik erleichtern. Doch seit kurzem hat sich der Algorithmus spürbar verändert – und sorgt bei vielen Hörer*innen für Enttäuschung.
Mit über 574 Millionen Nutzerinnen weltweit ist Spotify längst nicht mehr nur ein Streamingdienst, sondern eine zentrale Instanz für die Entdeckung neuer Musik. Ein wöchentliches Highlight war für viele Hörerinnen der „Release Radar“ – eine Playlist, die jeden Freitag automatisch mit den neuesten Veröffentlichungen von Künstlerinnen befüllt wurde, die dem individuellen Geschmack der Nutzer entsprechen. Doch seit einigen Wochen ist alles anders. Statt einem individuell kuratierten Überblick über relevante Neuerscheinungen bekommen Nutzerinnen nun einen stark eingeschränkten, oft unbrauchbaren Mix aus bereits bekannten Songs, Remixes, B-Seiten und sogar älteren Releases. Was ist passiert?

Der Algorithmus greift ein
Spotify hat den Release Radar nicht aus Versehen verändert, sondern ganz bewusst. Das bestätigt der Support öffentlich auf Ex-Twitter. Dort heißt es, man teste „laufend neue Funktionen und Verbesserungen“, wobei es sich bei den Änderungen am Release Radar „um eine bewusste Anpassung“ handelt. Die Maßnahme wirkt allerdings wie ein Rückschritt: Statt der bisher üblichen 100 bis 200 Songs enthält die Playlist nun maximal 30 Tracks – und diese stammen vor allem von Alben, die man bereits gehört hat und die bereits vor Wochen erschienen sind. Dazu kommen auch Songs von Acts, denen man nicht folgt oder mit deren Musik man bislang kaum interagiert hat.
Die Technik dahinter: BART und die Empfehlung als Experiment
Die Grundlage für diese Veränderungen liegt im Empfehlungssystem von Spotify. Dabei handelt es sich um eine KI-gesteuerte Plattform, die Hörer*innen fortlaufend neue Inhalte vorschlägt. Die Entscheidungen basieren auf einer Mischung aus Metadatenanalyse, Hörverhalten, Textinhalt und musikalischer Stimmung. Der Fokus liegt dabei zunehmend auf Personalisierung und Engagement – und weniger auf Neuheit.
Das Problem: Wenn die KI entscheidet, dass Hörerinnen lieber etwas Bekanntes hören wollen, dann verdient der Release Radar seinen Namen nicht mehr. Ungehörte Tracks von Künstlerinnen, mit denen man regelmäßig interagiert, könnten durch altbekannte Albumtracks ersetzt werden – weil diese laut Algorithmus „wahrscheinlicher gehört werden“. Eine selbstverstärkende Schleife.
Die Auswirkungen: Frust statt Vorfreude
In der Praxis führt das zu einem eklatanten Vertrauensverlust. Das neue Release Radar ist nicht nur deutlich kürzer, sondern wirkt beliebig und unübersichtlich. Die ursprüngliche Entdeckungsfreude ist verloren gegangen. Besonders ärgerlich für Künstlerinnen, Labels und Musikjournalistinnen: Neue Veröffentlichungen erreichen ihre Zielgruppe nicht mehr zuverlässig. Spotify betont zwar, dass man Songs über „Spotify for Artists“ mindestens sieben Tage vor Release vorschlagen könne, doch auch dieser Weg scheint an Wirkung verloren zu haben.
Die Reaktionen der Community
Die Community lässt ihrem Frust freien Lauf. Hunderte Kommentare auf Reddit, X und in Foren dokumentieren die Unzufriedenheit. Besonders oft fällt das Wort „Dealbreaker“. Ein Nutzer schreibt: „Ich habe mein Abonnement nach über 8 Jahren gekündigt und meine Freundin auch.“ Andere suchen nach Workarounds, wie etwa über das Tool „Every Noise at Once“, das den ungefilterten Release Radar vor dem Spotify-Kürzungsalgorithmus sichtbar macht. Doch diese Lösungen sind wenig komfortabel.
Alternativen: Manuelle Auswahl statt Algorithmus
Während Spotify versucht, den Release Radar „streamlined“ zu gestalten, gehen viele Nutzer*innen wieder dazu über, sich ihre Neuheiten selbst zu kuratieren. Playlists von Musikblogs, DJs oder Redaktionen gewinnen wieder an Bedeutung. Eine verlässliche Alternative bietet unsere Playlist „Tonspion Top Tracks der Woche“. Hier werden jede Woche handverlesene Neuheiten präsentiert, unabhängig vom Spotify-Algorithmus, und mit einem klaren Fokus auf musikalische Qualität und Vielfalt. Wer gerne auch etwas Neues entdecken will, muss sich auch ab und zu mal aus seiner Filterblase herausbewegen und den Algorithmen entfliehen.
Die Redaktion setzt dabei auf eine Mischung aus Indie, Electronica, Alternative und Pop – stets auf der Suche nach Songs, die etwas Neues erzählen, überraschen oder berühren. Wir haben nicht den Anspruch, dass jeder Song allen gefallen muss, sondern dass man jede Woche etwas Neues für sich darin entdecken kann.
Statt 30 zufällig zusammengewürfelten Songs gibt es hier eine Redaktion, die aktiv hört, sortiert und empfiehlt. Zusätzlich bieten wir mehrere Neuheiten-Playlists für Genres wie Indie + Rock, Club Music oder Rap. Die Musik entdecken wir über Labels und Promoter, aber auch direkt von den Künstlern, die uns ihre Musik über Plattformen wie Submithub oder Groover direkt zukommen lassen können. Die Auswahl der Redaktion ist allerdings unbestechlich: Rein kommt nur das Beste.
Spotify und das Spannungsfeld zwischen Technik und Vertrauen
Algorithmische Optimierung nicht automatisch bessere Ergebnisse liefert. Der Eingriff in den Release Radar zeigt deutlich, wie empfindlich das Verhältnis zwischen Plattform und Nutzer*in ist und was uns im KI-Zeitalter erwartet: sehr viel Bullshit. Statt echte Musikexperten zu engagieren, wird immer mehr an eine KI ausgelagert, für die Musik einfach nur ein aus Daten besteht und nichts bedeutet. Wer sich nicht mehr auf die Empfehlungen verlassen kann, wird die Plattform anders nutzen – oder verlassen.
Der Release Radar bot bisher verlässlich spannende neue Releases der Woche. Warum man an diesem einfachen, aber überzeugenden Konzept überhaupt drehen muss, ist unerklärlich. Schließlich hat Spotify tausende weitere kommerzielle Playlisten, die sie auf Streamzahlen optimieren könnte.
Ob das neue System beibehalten wird oder Spotify zurückrudert, bleibt abzuwarten. In der Zwischenzeit gilt: Wer neue Musik wirklich entdecken will, sollte den Release Radar ignorieren – und auf andere, unabhängige Playlists umsteigen.
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