Der Musikstreaming-Dienst Spotify gerät in den USA erneut unter Druck. Auslöser ist diesmal eine Werbekampagne der US-Einwanderungsbehörde ICE (Immigration and Customs Enforcement), die derzeit auf der Plattform läuft und neue Agenten anwerben soll.
Die Spots sind Teil einer großangelegten Rekrutierungsoffensive des US-Heimatschutzministeriums (Department of Homeland Security, DHS). Die Inhalte sorgen jedoch für heftige Reaktionen, Boykottaufrufe kursieren seit Tagen in sozialen Medien wie TikTok, Reddit und X (vormals Twitter). Spotify selbst hat bislang keine Absicht signalisiert, die Anzeigen zu stoppen.
Seit Anfang Oktober berichten Nutzer in den USA, dass sie auf Spotify Werbespots der US-Einwanderungsbehörde ICE hören, einer Behörde, die vor allem für die Durchsetzung von Abschiebungen und die Kontrolle von Migration im Inland zuständig ist. Und dabei teilweise mit brutaler Gewalt gegen Menschen vorgehen. In den Audio-Spots wird offen für eine Karriere bei ICE geworben, unter anderem mit der Aussicht auf hohe Prämien, bezahlte Studienkredite und den „Schutz Amerikas“.
Ein besonders umstrittener Spot beginnt laut Nutzerberichten mit den Worten: „Millions of dangerous illegals are rampaging the streets. Join ICE today.“ (deutsch etwa: „Millionen gefährlicher Illegaler ziehen plündernd durch die Straßen. Tritt noch heute ICE bei.“)
Diese drastische Wortwahl hat bei vielen Hörer:innen Empörung ausgelöst. Auf TikTok berichten Nutzer:innen, dass sie nach dem Hören der Spots umgehend die App gelöscht hätten. Auf Reddit erreichten Threads mit dem Hashtag #BoycottSpotify binnen Stunden die Spitzenplätze in den Musik-Foren. Auch auf Spotifys eigenem Community-Forum häufen sich Kommentare von zahlenden Kund:innen, die ihre Abos kündigen oder dies ankündigen.
ICE ist die zentrale Vollzugsbehörde des US-Heimatschutzministeriums für Migration und Zoll. Gegründet nach den Anschlägen vom 11. September 2001, ist ICE für die Aufdeckung illegaler Einwanderung, Abschiebungen und die Kontrolle von grenzüberschreitender Kriminalität zuständig. In der öffentlichen Wahrnehmung steht die Behörde jedoch seit Jahren in der Kritik, insbesondere wegen ihrer Rolle in den harten Einwanderungspolitiken unter Donald Trump, etwa durch die Trennung von Familien an der mexikanischen Grenze oder Razzien in Städten im Inland.
Spotifys Reaktion: Kein Regelverstoß
Spotify verteidigt die Ausstrahlung der Anzeigen. In einem Statement gegenüber dem US-Magazin Newsweek heißt es, die Kampagne sei Teil einer breit angelegten Werbestrategie der US-Regierung, die auf vielen Plattformen ausgespielt werde – darunter auch auf YouTube, HBO oder im Fernsehen. Die Inhalte der ICE-Spots würden nicht gegen Spotifys interne Werberichtlinien verstoßen. Nutzer hätten jedoch die Möglichkeit, Werbung per Daumen hoch oder runter individuell zu bewerten, um künftige Anzeigen zu beeinflussen.
Das Unternehmen vermeidet damit eine klare politische Positionierung, eine Strategie, die in der Vergangenheit bereits mehrfach kritisiert wurde.
Boykottaufrufe und prominenter Widerstand
In den sozialen Netzwerken wächst der Druck auf Spotify. Neben Einzelpersonen äußerten sich auch prominente Künstler kritisch. Zwar gibt es bisher keine direkten Reaktionen auf die ICE-Kampagne, doch schon in den vergangenen Monaten war Spotify wegen seiner Geschäftsbeziehungen unter Beschuss geraten.
Grund dafür ist unter anderem CEO Daniel Ek, der über seine Beteiligung an der deutschen Rüstungsfirma Helsing in die Entwicklung von KI-gesteuerten Verteidigungstechnologien involviert ist. Helsing liefert unter anderem Software für Drohnen- und Sensorensysteme in europäischen Armeen. Die Firma selbst erklärt, man arbeite ausschließlich zur Verteidigung gegen russische Aggressionen in der Ukraine.
Trotzdem haben bereits mehrere bekannte Bands ihre Musik von der Plattform entfernt, darunter Massive Attack, King Gizzard & The Lizard Wizard, Godspeed You! Black Emperor, Deerhoof, Hotline TNT und Xiu Xiu. Die Kritik richtet sich dabei nicht nur gegen Spotifys unternehmerische Entscheidungen, sondern auch gegen den grundsätzlichen Umgang des Konzerns mit ethisch sensiblen Themen.
Werbung staatlicher Stellen: Rechtlich erlaubt, moralisch umstritten
In den USA ist es üblich, dass staatliche Institutionen Werbung schalten – auch für Rekrutierungen. Die Armee, Polizei, Feuerwehr und auch Behörden wie das FBI oder ICE nutzen regelmäßig kommerzielle Kanäle, um Nachwuchs zu gewinnen. Nach Angaben von Newsweek hat die US-Regierung allein im Jahr 2023 rund 1,8 Milliarden US-Dollar für Werbung ausgegeben, doppelt so viel wie 2018. Davon entfielen rund 380 Millionen US-Dollar auf das DHS.
Doch gerade im Fall von ICE entzündet sich die Debatte am Ton der Werbung. Medienwissenschaftlerin Lucy Atkinson von der University of Texas erklärt gegenüber Newsweek, dass politische Werbung historisch immer wieder kritische Fragen aufwerfe – besonders wenn sie Angst schüre, Feindbilder produziere oder eine patriotische Erzählung einseitig auflade. Atkinson zieht Parallelen zur berühmten „Uncle Sam“-Kampagne im Ersten Weltkrieg, deren Nachwirkungen bis heute kritisch betrachtet werden.
In der ICE-Werbung sieht sie eine ähnliche Dynamik: „Die Kampagnen sind so angelegt, dass sie sehr effektiv sind. Aber sie fördern auch Polarisierung, übersteigerten Nationalismus und – je nach Tonalität – auch die Bereitschaft, Bürgerrechte zu ignorieren.“
Ob Spotify auf die Proteste reagiert, ist derzeit unklar. Bislang verweist das Unternehmen lediglich auf die Möglichkeit, Werbung individuell zu bewerten. Eine klare inhaltliche Distanzierung von der ICE-Kampagne gibt es nicht. Auch Zahlen zu Kündigungen oder Nutzerverlusten wurden bisher nicht veröffentlicht.