Spotify steht weiterhin in den Negativ-Schlagzeilen. Nachdem bekannt wurde, dass Gründer und Milliardär Daniel Ek in KI-Dronen investiert und auch seine eigene Plattform mit KI-Musik flutet, scheint es an der Zeit, ernsthaft über einen Wechsel nachzudenken.
Die US-Band Deerhoof hat via Instagram angekündigt, ihre gesamte Musik von Spotify zu entfernen. Der Hintergrund: Spotify-Gründer Daniel Ek investiert erhebliche Summen in KI-Waffentechnologie. „Es hat fünf Minuten gedauert zu merken, dass KI-Krieg nicht unser Ding ist“, heißt es in einem Statement der Band. Doch nach der ersten Reaktion folgte eine intensivere Auseinandersetzung. Was dabei zutage kam, betrifft längst nicht nur eine Indie-Band, sondern die gesamte Musikbranche.
Wer mitmischt, finanziert mit
2023 wurde bekannt, dass Spotify-CEO Daniel Ek über seine Investmentfirma Prima Materia 600 Millionen Euro in das deutsche Rüstungsunternehmen Helsing GmbH investiert hat. Die Firma entwickelt KI-gestützte Technologien für das Militär, unter anderem für autonome Drohnen und Überwachungssysteme.
„Wir wollen nicht, dass unsere Musik Menschen tötet“, schreiben Deerhoof. „Wir wollen nicht, dass unser Erfolg mit KI-Kriegstechnologie verknüpft ist.“ Für die Band ist das keine politische Randnotiz, sondern ein Bruch mit allem, wofür sie künstlerisch steht. Dass UN-Generalsekretär António Guterres KI-Waffen als „moralisch abscheulich“ bezeichnet und ein weltweites Verbot gefordert hat, macht deutlich: Es geht um mehr als Geschäftsmodelle. Es geht um Grundwerte.
Kapital statt Kultur
Was als einfache Streaming-Plattform begann, ist heute ein Milliardenkonzern mit weitreichender politischer und ökonomischer Wirkung. Spotify dominiert nicht nur, wie Musik gehört wird, sondern auch, wer gehört wird und wer nicht. Das System basiert auf Algorithmen, Playlists und Datenanalyse. Wer reinpasst, gewinnt. Wer ausschert, verschwindet.
Doch selbst die Gewinner dieses Systems, die großen Namen mit Millionen-Streams, sind oft unzufrieden. Taylor Swift entfernte ihre Musik 2014 erstmals von Spotify, weil das Geschäftsmodell Künstler:innen nicht fair entlohne. Auch nach ihrer Rückkehr blieb die Kritik bestehen. Swift sprach von fehlender Kontrolle und mangelnder Transparenz. Dass sogar die erfolgreichsten Acts sich gegen die Plattform stemmen müssen, zeigt, wie tief das Problem sitzt.
Algorithmus vs. Kreativität
Spotify hat die Musik von einem kulturellen Gut in ein datenbasiertes Geschäftsmodell verwandelt. Songs werden nach Funktion einsortiert: „Lofi Beats“, „Sleep“, „Peaceful Piano“. Viele dieser Playlists enthalten Inhalte von sogenannten Ghost Artists – Produktionen ohne erkennbare Urheber, oft unter Fake-Namen veröffentlicht, algorithmisch mit KI generiert oder von Partnerfirmen produziert, die Spotifys PFC-Modell („Perfect Fit Content“) bedienen.
Liz Pellys Buch Mood Machine, erschienen im Januar 2025, dokumentiert diese Praxis auf Basis interner Quellen. Die Plattform betreibt also längst eine eigene Schattenindustrie, in der Musik nicht mehr komponiert, sondern kalkuliert wird. Unabhängige Künstlerinnen und Künstler, die keine Playlist-Platzierungen bekommen, haben kaum eine Chance auf Reichweite oder auf nennenswerte Einnahmen.
Im Jahr 2025 gibt es auf Spotify immer mehr KI-generierte „Bands“, die über eine Million monatliche Hörer erreichen. Namen werden wir an dieser Stelle nicht nennen, da wir dieser Art von Geschäftsmodell keine Aufmerksamkeit schenken möchten. Denn hinter diesem KI-Spam stehen keine Musiker, sondern Unternehmen, die systematisch den Spotify Algorithmus versuchen auszutricksen, um Plays zu erzeugen. Die Musik wirkt wie aus dem Baukasten, doch sie funktioniert in Playlists für Konzentration oder Entspannung. Mit Musik hat das aber nichts zu tun.
Gleichzeitig dient Spotify als riesiges Daten-Trainingslager für KI-Systeme. Sprachsamples, musikalische Stilistiken, menschliche Kompositionsmuster, alles wird analysiert und potenziell zur Generierung neuer, günstigerer Inhalte verwendet. Die Musikerinnen und Musiker selbst verlieren damit nicht nur ihre Vergütung, sondern auch ihre künstlerische Relevanz. Und die Hörer die Lust an der Musik. Es gibt nichts öderes als KI-generierte Musik.
Keine Stimme, kein Einkommen
2024 verschärfte Spotify das Vergütungsmodell weiter: Songs mit wenigen Streams werden künftig gar nicht mehr vergütet, mit Verweis auf „Anti-Spam-Maßnahmen“. Das trifft vor allem kleinere Acts. Die Auszahlung basiert nun auf der Hördauer, was lange Podcasts oder Mainstream-Tracks bevorzugt. Die Umverteilung geht nach oben, die kreative Vielfalt schrumpft weiter.
„Spotify zahlt sowieso nur einen Hungerlohn“, so Deerhoof. „Wir verdienen unser Geld mit Touren.“ Die Abhängigkeit von der Plattform sei gering – und genau deshalb sei der Ausstieg möglich. Doch sie betonen auch: Nicht jede Band hat diesen Spielraum. Manche sind auf Streaming-Einnahmen angewiesen, so gering sie auch ausfallen. „Wir verurteilen niemanden, der nicht denselben Schritt gehen kann.“
Joe Rogan und der Trump-Effekt
Spotify ist längst mehr als ein Musikdienst. Podcasts sind zum Wachstumstreiber geworden, allen voran The Joe Rogan Experience. Für den exklusiven Deal mit Rogan zahlte Spotify über 100 Millionen Dollar. Was folgte, war eine extreme politische Polarisierung.
2024 veröffentlichte Rogan ein Interview mit Donald Trump, das viele als einen der Schlüsselmomente für dessen erneute Wahl einstuften. Die Episode verbreitete Verschwörungstheorien, hetzerische Aussagen und nationalistische Narrative, an die Massen gepusht durch Spotifys Empfehlungslogik. Rogan distanzierte sich später von Trumps Deportationen, doch da war der Schaden längst angerichtet. Spotify reagierte nicht.
Die Plattform ist damit zum aktiven politischen Akteur geworden, ohne Kontrolle, ohne journalistische Verantwortung – aber mit enormem Einfluss.
Musik ist mehr als Daten
„Spotify ist ein Daten-Mining-Betrug, der sich als Musikunternehmen tarnt“.
Musik ist nicht dafür da, die Klickzahlen zu steigern oder Investoren glücklich zu machen. Musik entsteht aus Reibung, aus Experiment, aus persönlicher Geschichte. Die Plattformen, auf denen sie veröffentlicht wird und denen wir jeden Monat unser Geld geben, sollten das fördern und nicht untergraben.
Dass Spotify sich mit Milliarden an Firmen beteiligt, deren Produkte auf militärische Automatisierung setzen, ist nur der sichtbarste Bruch mit dieser Idee. Der andere Skandal liegt in der systematischen Entwertung von Musik und Mensch.
Auch als Musikmagazin haben wir dank Spotify keine Möglichkeit mehr, organisch zu wachsen, unsere Playlisten haben nach über 10 Jahren nur ein paar 1000 Follower, weil sie nirgendwo auf der Plattform ausgespielt werden. Unser Angebot, einen Tonspion Podcast für Spotify zu produzieren, lehnte das Unternehmen vor einigen Jahren dankend ab mit der Antwort „Nichts mit Musik!“ Nein, mit Musik hat Spotify schon lange nichts mehr zu tun.
Zu jedem Genre pusht Spotify seit Jahren nur die eigenen Playlists und bestimmen damit, was von Spotify-Nutzern gehört wird und die sind meisten dieser automatisch generierten Playlists sind grausam lieblos zusammengeklatscht. Wenn wir neue Follower für unsere eigenen Playlists bekommen wollen, müssen wir Werbung für Spotify schalten. Ein irres System, das für niemanden Sinn ergibt – außer für Spotify.
Der Ausstieg ist möglich
„Spotify spült sich gerade selbst ins Klo“, schreiben Deerhoof. Und meinen damit ein System, das für Künstler:innen kaum etwas übrig lässt, aber Milliarden generiert, um damit politische Macht und technologische Kontrolle auszubauen. Musik als Vehikel für Aufrüstung, Big Data und kapitalistische Expansion, das ist die Realität hinter der bunten Benutzeroberfläche.
„Musikmachen bleibt. Aber dieser oder jener digitale Schnell-reich-werden-Plan wird verschwinden.“
Deerhoof betonen, dass sie als Band, die über 30 Jahre ein Publikum aufbauen konnte, privilegiert genug sind, den Ausstieg zu wagen. Sie wissen, dass andere stärker von Spotify abhängig sind und verurteilen niemanden. Aber sie zeigen, dass der Weg raus offen ist.
Es gibt Alternativen
Die Musikbranche hat sich schon immer daran orientiert, wo die meisten Hörer sind. Auch wenn das für viele Indie-Künstler gar keine Rolle spielt, wenn die eigenen Fans ganz woanders unterwegs sind. Spotify ist bequem, aber keinesfalls alternativlos. Wer jetzt aussteigt, setzt ein Zeichen gegen Ausbeutung und moralischen Ausverkauf. Wer bleibt, sollte zumindest hinterfragen, was uns diese Bequemlichkeit kostet.
Alternative Plattformen
Bandcamp
Die Einnahmen bei Bandcamp landen direkt bei den Künstler:innen, transparente Aufteilung, ideal für unabhängige Musik
Qobuz
Qobuz bietet einen Streamingdienst für audiophile Hörer mit hochauflösendem Klang und fairer Vergütung für Künstler. Es gibt dort sogar noch einen Download-Shop für Musiksammler.
Tidal
Auch Tidal bezahlt Musiker fairer als Spotify.
Wir bieten unsere Playlisten inzwischen auf zahlreichen Plattformen an und es gibt mit Soundiiz und TuneMyMusic Dienste, mit denen man ganz einfach alle Playlists umziehen kann. Es ist also für Musikhörer ganz einfach möglich, den Streamingdienst zu wechseln und alle Playlists mitzunehmen. Wir sollten davon viel häufiger Gebrauch machen.