Nach der Trennung der bis heute leidenschaftlich verehrten Band The Smiths, begann Morrissey seine bis heute andauernde Solo-Karriere mit unglaublich vielen starken Songs. Doch im Gegensatz zu seiner Ex-Band erntet er dafür genauso viel leidenschaftlichen Hass wie Liebe. Hier kommen deshalb im Vergleich die Top Ten von beiden.
Dass Morrissey ein umstrittener Künstler ist, liegt nicht an seiner Musik, die zwar zwischen genial und gut schwankt, aber niemals egal ist: Es ist sein Talent zu bissigen, zweideutigen und pathetischen Texten, die ihn als Provokateur im (guten) Sinn dastehen lassen und es ist sein Talent zu provokanten Aussagen abseits seiner Songs, die ihn als Querulanten im (schlechten) Sinn zeigen. In diesem Sinn sollte man (und er) sich vielleicht diese Zeile des großen Songtexters Morrissey zu Herzen nehmen:
„It’s so easy to laugh / It’s so easy to hate / It takes guts to be gentle and kind“.
In seinen Liedern waren es jedoch bereits immer dieselben Themen, die ihn und damit auch seine Kritiker umtrieben, wie man in den folgenden Top Ten sieht: Es geht um die ambivalente Presse, unerfüllte Liebe, faszinierende Kriminelle, liebenswerte Außenseiter und immer wieder auch um England. Je älter Morrissey wird, desto mehr vermisst man jedoch seinen differenzierten Humor von aus den Smiths-Zeiten, der nur noch selten in seinen Solo-Songs aufblitzt. Aber wenn er das tut, dann strahlt es immer noch gewaltig schön.
Hier kommen die (subjektiv) zehn besten Songs von Morrissey:
10. Spent The Day In Bed
2017 endete für Morrissey mit unschönen Schlagzeilen angesichts seiner politischen Aussagen, die viele Fans verwirrt zurückließen. Der Maestro selbst bevorzugt es, in der ersten schönen Single-Auskopplung zum Album „Low In High School“ angesichts des Zustands der Welt und des Unverständnissees im gegenüber dandyhaft im Bett zu bleiben und zu einem barocken Keyboard darüber zu lamentieren. Die Textzeilen „Stop Watching The News / Because The News Contrives To Frighten You / To Make You Feel Small And Alone / To Make You Feel That Your Mind Isn’t Your Own“ wurden entweder dahingehend interpretiert, dass auch er nun „Lügenpresse“ brüllt oder differenzierter als Aufforderung, sich öfter einmal eigene Gedanken zu machen. Darüber hinaus erweist sich der Song als prophetische Hymne für den Lockdown in Corona-Zeiten…
9. You Have Killed Me
In dem symphonischen Song vom Album „Ringleader Of The Tormentors“ aus dem Jahr 2006 findet man ein typischen Thema wieder: Enttäuschte Liebe, doch Morrissey bekundet darin auch typisch britisch – stiff upper lip – „Always I Do Forgive You“. (Und diesen Satz müssen sich seine Fans wohl auch oft sagen).
8. The Last Of The Famous International Playboys
Ein Song über die notorischen Verbrecher Ronnie und Reggie Kray aus der Sicht eines fiktiven leidenschaftlichen Fans der Kriminellen: Die Zwillingsbrüder beherrschten in den 1960er Jahren das Londoner East End und beide waren homosexuell sowie glamourös – Ein Themenfeld mit dem Morrissey bereits bei den Smiths in „Suffer Little Children“ polarisierte. Darin ging es um die berüchtigten Moor-Mörder Ian Brady und Myra Hindley, die fünf Kinder umbrachten und ebenfalls in der Popkultur rezipipert wurden. Aber wie Morrissey in „The Last Of The Famous“ treffend singt, kritisiert er vielmehr diese Art der Berühmtheit: „In Our Lifetime Those Who Kill / The News World Hands Them Stardom / And These Are The Ways / On Which I Was Raised“.
7. First Of The Gang To Die
Als 2004 „You Are The Quarry“ erschien, waren sich Kritiker und Fans einig, das hier endlich wieder einmal ein durchgehend fantastisches Morrissey-Album zu hören ist: „First Of The Gang To Die“ ist eine catchy Hymne auf einen Kleinkriminellen namens Hector, dem die schöne Zeile „He Stole All Our Hearts Away“ gewidmet wird. In dem Lied zeigt sich jedoch auch der unterschätzte (böse) Humor Morrisseys, wenn er über die Liebe singt: „You Have Never Been In Love / Until You’ve Seen Sunlight Thrown / Over Smashed Human Bones“.
6. We Hate It When Our Friends Become Successful
Ein Song, dessen Refrain von einem höhnischen „Ha Ha Ha Ha“ dominiert ist und in dem dieses teuflische Lachen in einen poppigen Gitarrensound eingebettet ist, kann eigentlich nur von Morrissey stammen: Es geht darin um den Neid anderer Musiker aus seiner Heimatstadt Manchester auf ambitionierte Kollegen.
5. The More You Ignore Me, The Closer I Get
Der wohl schönste Song auf dem 1994 erschienenen Album „Vauxhall & I“ ist die bislang einzige Nummer, die je die US-Charts eroberte und gilt inzwischen als kleiner Klassiker unter Morrisseys Repertoire.
4. Irish Blood, English Heart
Morrisseys fulminanter Comeback-Song 2004 nimmt das politische System Englands auseinander und beschwört seine Identität abseits jeglichen Rassismus. Angesichts seiner neuer Aussagen über Migranten und den Islam ist der Track auch eine Erinnerung, dass man sich vielleicht nur an Morrissey-Songs anstatt an Morrissey-Interviews halten sollte.
3. November Spawned A Monster
Eine unglaublich verführerische Basslinie samt ungewöhnlichen Bongo-Percussion-Klängen bilden die Basis zu dieser Single aus dem Jahr 1990, die auch Franz Kafka nicht bizarrer hätte betexten können: Morrissey singt aus der Perspektive eines missgebildeten um Liebe bettelnden Menschen – „One November / Spawned A Monster / In The Shape Of This Child“.
2. Suedehead
Vielleicht der Song, der am ehesten wie ein verlorenes Smiths-Lied klingt: Im Video zu seiner ersten Solo-Single im Jahr 1988 ist dann auch in einem kurzen Ausschnitt ein Badvorleger mit der Aufschrift „There’s A Light That Never Goes Out“ zu sehen. Im Track selbst geht es einmal mehr um eine unerfüllte Liebe. Der NME schrieb damals: „The Best No. 1 ’88 Never Gave Us“ – „Suedehead“ kam nur auf Platz 5 der englischen Charts.
1. Everyday Is Like Sunday
Ebenfalls aus dem Solo-Debüt-Album „Viva Hate“ stammend, ist dieses epische wie poetische Lied dasjenige, das als Soundtrack beim Ende der Welt laufen sollte. Inspiriert wurde der Song, bei dem ein verzweifelter einsamer Kleinstadtbewohner sich die Atombombe herbeisehnt, von dem Roman „On The Beach“ von Nevil Shute: Darin warten verschiedene Menschen am Strand auf die Ausbreitung der tödlichen Strahlung einer gerade erst abgeworfenen Atombombe und alle entwickeln andere Strategien mit dem nahenden Ende umzugehen – „Everyday Is Like Sunday“ zu hören, wäre dabei eine…
Und nun kommen die (subjektiv) zehn besten Songs von The Smiths:
10. The Headmaster Ritual
In diesem Track klingt die Band musikalisch am meisten nach den Eighties und Morrissey singt ein wenig wie Siouxsie: Textlich geht es weniger locker zu und um die brutale Schulerziehung im England der 50er und 60er Jahre.
9. Heaven Knows I’m Miserable Now
Trotz des depressiven Inhalts, muss man angesichts der Zeilen dennoch lachen, was das Oscar-Wilde-esque von Morrisseys Lyrics einmal mehr verdeutlicht: „I Was Happy In The Haze Of A Drunken Hour / But Heaven Knows I’m Miserable Now“.
8. Ask
Der wohl freundlichste aller Smiths-Songs, obwohl es dank folgender Zeile dann doch nicht als braves Liebeslied gelten kann: „If It’s Not Love, It’s The Bomb (x6) That Will Bring Us Together“.
7. Bigmouth Strikes Again
Der Songtitel wird gerne als Intro zu neuesten Morrissey-Interviews verwendet: In der ersten Single aus dem Album „The Queen Is Dead“, antwortet der Sänger auf die Kritik anderer an seinen Kommentaren jedoch noch mit: „I Was Only Joking“.
6. Girlfriend In A Coma
Schwärzester britischer Humor in einen zweiminütigen leichtfüßigen Ohrwurm gepackt:
5. Cemetery Gates
Morrisseys’ Hymne an sein großes Vorbild Oscar Wilde: Beim Spaziergang durch den Friedhof sagt er zu seinem Begleiter: „Keats And Yeats Are On Your Side / But You Lose / ‚Cause Weird Lover Wilde Is On Mine.“
4. How Soon Is Now?
Johnny Marrs vibrierendes Gitarrenspiel in diesem fast siebenminütigen untypischen Smiths-Song, ist bis heute eines der distinktivsten der Musikgeschichte:
3. This Charming Man
Beim inzwischen ikonischen „Top Of The Pops“-Auftritt zu diesem Song wedelte Morrissey mit Gladiolen um sich, was dazu führte, dass später Tonnen dieser Blumen auf die Bühnen segeln sollten – charming…
2. Panic
Trotz seiner kompromisslosen Zeilen, wurde der Song zum Radio- und Charts-Hit: „Burn Down The Disco / Hang The Blessed DJ / Because The Music That They Constantly Play / It Says Nothing To Me About My Life“.
1. There’s A Light That Never Goes Out
Die wohl morbideste und zugleich unsterblichste Liebeserklärung der Welt – wohl auch zwischen dem genialen Songwriting-Team Marr und Morrissey: „If A Double-Decker Bus Crashes Into Us / To Die By Your Side Is Such A Heavenly Way To Die“.